Verschwoerung der Frauen
und
›Life‹ eine große Leserschaft. Im Mitarbeiterstab dieser Zeitschriften waren die Männer die Autoren. Für Frauen galt diese Bezeichnung nicht, sie waren die »Rechercheure«. In meinem Fall bedeutete das, daß ich nach einigen Jahren das Büro des Geschäftsführers leitete, nicht nur als Sekretärin (unabhängig von mir gab es eine zweite Sekretärin), sondern auch für Hauptbuchhaltung, Öffentlichkeitsar-beit und nicht selten für wichtige Entscheidungen verantwortlich war.
Erst einige Wochen später unternahm ich also den Versuch, Gabrielle anzurufen, um mich mit ihr zu verabreden. Wie sich herausstellte, hatte sie kein Telefon. Das war damals nicht so ungewöhnlich wie heute – für mich, als Amerikanerin, aber dennoch verblüffend.
Ich mußte ihr daher einen Brief schreiben, den die englische Post, die damals, anders als überall sonst auf der Welt, noch nicht den Tiefststand ihrer Funktionstüchtigkeit erreicht hatte, Gabrielle am nächsten Morgen zustellte. Sie schrieb sofort eine Antwort, die mich noch am selben Nachmittag erreichte, was im Rückblick das Überra-schendste an der ganzen Geschichte war. Sie bat mich, sie am nächsten Tag um drei Uhr aufzusuchen. Ich überließ meinen Boß seinem heillosen Durcheinander, nahm mir den ganzen Tag frei, wanderte durch die Straßen, überlegte, was ich Gabrielle sagen sollte, plante meinen Brief an Eleanor und kaufte einige Süßigkeiten für Gabrielle.
Gabrielle bewohnte das Erdgeschoß eines umgebauten Hauses am Rande von Kensington, eigentlich schon Knightsbridge, wie mir sogleich die Vermieterin erklärte, die mir die Tür geöffnet hatte. Die Frau hatte schon auf Gabrielles allerersten Besuch gelauert. Offenbar hatte Gabrielle ihr erzählt, daß sie mich erwarte, mehr aber nicht.
Trotz meines amerikanischen Akzents schien die Frau sofort anzunehmen, ich sei mit Gabrielle verwandt. Vielleicht hielt sie mich für Nellie. Sie erzählte mir, wie sehr sie sich um Gabrielle sorge, die nie einen Schritt vor die Tür setze, das »Mädchen« dafür bezahle, ihr Lebensmittel und andere notwendige Dinge zu besorgen, und die bei Gott nicht die Sorte Mieter sei, die sie eigentlich haben wolle, aber schließlich bezahle sie pünktlich die Miete, und man könne das arme Geschöpf ja nicht einfach auf die Straße setzen. Immer noch schwat-56
zend, führte sie mich einen Flur entlang, zu Gabrielles Tür. Ich dankte ihr, blieb stehen und blickte sie so lange an, bis sie ging. Ich wollte allein sein, wenn ich Gabrielle gegenübertrat.
Und als ich ihr schließlich gegenüberstand, als sie die Tür öffnete und mich hereinließ, fesselte sie meine Aufmerksamkeit mit solcher Gewalt, wie nie jemand zuvor, nicht einmal Nellie, als sie in Amerika ankam, nicht einmal Dorinda, als ich ihr das erste Mal begegnete.
Alles bisher, so sah ich es in jenem Moment, war die Vorbereitung auf diesen Augenblick gewesen, und mir schien, daß mein Leben zum guten Schluß doch eher ein Roman war als eine realistische Biographie. Diese Ahnung hatte ich schon früher gehabt und mich im stillen damit auseinandergesetzt, wie so oft, seit Dorinda, Nellie und ich getrennt waren. Nur in Romanen, Märchen und in den Geschichten, die Mädchen träumen, entreißt etwas junge Frauen ihrer glanzlosen Bestimmung und versetzt sie in eine andere, reichere, abenteuerlichere Welt. Genau das war mit mir geschehen: zuerst die Goddards, dann Nellie und nun Gabrielle. Aber es gab auch einen Grund, warum mir – der schwerfälligen, etwas langweiligen, hart arbeitenden Anne – all dies passierte, und nicht Dorinda oder Nellie, die vom Schicksal viel eher für eine Starrolle auserkoren schienen.
Gabrielle brauchte jemand Aufnahmebereiten wie mich. Eleanor, sagte ich mir, wäre auch geeignet gewesen, aber Eleanor war zu sehr von ihrem Mann in Anspruch genommen, zu sehr das Geschöpf der Goddards.
Auf mich, mit knapp dreißig, wirkte Gabrielle an jenem Tag, als ich ihrer zum erstenmal ansichtig wurde, alt und heruntergekommen.
Das ist der richtige Ausdruck: »ansichtig wurde«. So als hätte ich sie aus meiner Phantasie herausgelöst und ins Blickfeld genommen. In New York und London bin ich bestimmt täglich an vielen sechsundsechzigjährigen Frauen vorübergegangen, die mir weder alt noch verhärmt vorkamen, weil sie sich durch Kosmetik und Diät ihre jugendliche Erscheinung bewahrten. Gabrielle sah aus wie Sechsundsechzig, wenn nicht älter. Ich brauchte jedoch nicht lange, um ihre Vitalität zu
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