Verschwoerung der Frauen
entdecken – eine Lebendigkeit, die keine Imitation von Jugend ist und nicht den Anschein von Jugendlichkeit erwecken will, sondern die echt und so ganz anders ist als jene Verkörperung von Jugend, der die modernen Frauen nachjagen. Gabrielles grau-weiß meliertes Haar war kurz geschnitten. Bei unserer ersten Begegnung war ich konventionell genug, ihr insgeheim zu einem »guten«
Friseur zu raten. Sie trug ein langes formloses Kleid mit einer alten 57
Strickjacke darüber: Wie in allen englischen Häusern jener Tage war es kalt bei ihr. Ihre Füße, mit Strümpfen aus grobem Material, steckten in Gebilden, die wie Männerschlappen aussahen. Ihre Hände waren groß, und die Fingernägel an den dicklichen Fingern kurz geschnitten. All dies nahm ich mit einem Blick auf – wie eine Art Offenbarung, auch wenn mir dieses Wort damals nicht in den Sinn kam. Warum sind die Geschöpfe, die in Offenbarungen erscheinen, immer schön wie die Engel? Und warum stellen wir uns Engel immer schön vor? Ich will damit nicht behaupten, Gabrielle sei mir auf den ersten Blick wie ein Engel vorgekommen, sondern nur, daß irgend etwas in mir sich zu ihr hingezogen fühlte, sie wiedererkannte und sagte: »Da bist du also.«
»Kommen Sie herein.« Sie sprach ein reines Upperclass-Englisch; heute hört man das in England viel seltener als damals. In jenen Tagen hatten alle BBC-Sprecher einen Oxford-Akzent. Daß die Beatles oder die heute allgegenwärtigen Tonlagen aus Australien, Yorkshire, den Midlands oder dem East End über einen Sender gingen, lag noch in ferner Zukunft. Aber selbst damals versetzte mich die Reinheit ihrer Sprache in Staunen.
Im Kamin entdeckte ich ein elektrisches Heizgerät, in das sie eine Münze warf. Auf einem Tischchen neben dem Kamin stand ein mit Münzen gefüllter Teller. Sie verwandte offenbar ihr Geld für das, was ihr wichtig war: Wärme, einen großen Raum, ein eigenes Badezimmer, Trinkgelder für das »Mädchen«, das für sie einkaufte. Sie verschwendete es nicht für Äußerlichkeiten oder irgend etwas, das nicht von unmittelbarem Nutzen war. Sie hatte ein Radio, an dem sie, in wenigen Stunden, die Nachrichten hören würde und später am Abend Musik. Sogar auf den ersten Blick fand ich, daß sie ihr Leben bemerkenswert vernünftig eingerichtet hatte.
Mein Plan war gewesen, sie zum Abendessen auszuführen, aber ich verwarf ihn gleich im ersten Moment. Ihr Leben fand hier statt und nirgendwo sonst. Sie hatte Zugang zu einem Garten, den die Bewohner aller umstehenden Häuser gemeinsam benutzten. Ich nahm an, oder wollte es gern glauben, daß sie gelegentlich dorthin ging, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Als ich sie fragte, erzählte sie mir, nachts stelle sie sich manchmal ans offene Fenster, aber tagsüber gehe sie nie hinaus. Dort gebe es Kinder, und für die sei sie das geborene Opfer; sie schien das als unvermeidliches Schicksal hinzunehmen. Sie mochte keine Kinder. Als sie das sagte, wurde mir plötzlich klar, daß auch ich keine Kinder mochte, nicht 58
einmal, als ich selbst Kind war, außer Dorinda und Nellie, aber die waren ja keine Kinder, sondern, wie ich, kleine Erwachsene, die auf ihre Verwandlung warteten.
»Setzen Sie sich«, sagte sie. Ich setzte mich auf einen Stuhl gegenüber dem Kamin mit dem elektrischen Heizer. Offensichtlich hatte sie den Stuhl für mich dorthin gestellt. Für zwei Stühle in der Nähe der Wärmequelle gab es normalerweise keinen Bedarf. Immer noch im Mantel, setzte ich mich: Der Raum war alles andere als warm. »Wie geht es Nellie?« fragte sie.
»Nellie geht es gut«, sagte ich. »Sehr gut.« Das schien keine angemessene Antwort und schon gar keine Neuigkeit, aber Gabrielle akzeptierte sie. Nellie, mit ihrer Begabung für Sprachen, arbeitete inzwischen für eine internationale Bank und war recht erfolgreich dort. Wie ich hatte sie nicht geheiratet, sah in der Ehe eine Falle.
Weder sie noch ich hatten uns durch die Ehen in jener Welt, der Dorinda angehörte, zum Narren halten lassen. Vielleicht mußte man das Bild meiner Mutter oder Hildas vor Augen haben, um genug Widerstandskraft gegen die Ehe zu entwickeln, der die Frauen unserer Generation hinterherjagten wie dem Goldenen Vlies.
»Ledig wie Sie«, sagte Gabrielle, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Arbeitet, bringt sich selbst durch. Braves Mädchen. Und sie nutzt ihre Sprachkenntnisse. Nur jemand wie Emile konnte behaupten, weil er so viele Sprachen spreche, habe er keine Muttersprache.
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