Verschwoerung der Frauen
mußte, merkte man, daß man noch zu den Lebenden zählte. Am ersten Juni würde Kate mit der Arbeit an der Biographie beginnen. Bis dahin wollte sie – falls die Zeit dazu reichte – ein wenig herumschnüffeln, wie sie das ausdrück-te. Die Frage war nur: Wo mit dem Schnüffeln beginnen?
Russell Baker berichtet, wie er einmal zu seiner Frau sagte: »Ich gehe jetzt nach oben und erfinde die Geschichte meines Lebens.«
Kate wiederholte seine Worte Reed gegenüber. »Ich fange jetzt an, die Geschichte von Gabrielles Leben zu erfinden. Wie es sich für einen guten Biographen gehört, werde ich allerdings nach Dokumen-ten suchen, die meine Interpretationen stützen.«
»Das gehört sich auch für einen guten Detektiv«, hatte Reed ge-antwortet. »Es gelingt dir immer wieder, mich zu überraschen. Und genau das – falls du es noch nicht wußtest – ist der Grund, warum ich dich geheiratet habe. Du bist der einzige Mensch, den ich gut kenne, der noch Überraschungen bereithält. Die meisten Leute beschränken sich darauf, genau die Erwartungen zu erfüllen, die man an sie hat.«
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»Allmählich hörst du dich wirklich an wie ein Juraprofessor«, sagte Kate. »Etwas Bombastisches hat sich in deine Sätze geschli-chen.«
»Wie sonst soll ich dir verständlich machen, daß ich dich wundervoll finde?«
»Unsinn. Daß du Juraprofessor geworden bist, finde ich mindestens genauso außergewöhnlich wie meinen Plan, eine Biographie zu schreiben. Im Grunde willst du doch nur sagen, daß dein Sprung ins Ungewisse ein vernünftiger war und meiner nicht. Gib es zu.«
»Ich gebe höchstens zu, daß ich nicht ganz verstehe, warum diese Frau dich überhaupt so interessiert. Sonst unterstellst du doch allen Frauen, die sich mit Schriftstellern zusammengetan haben, um ihnen Muse zu sein und die Wäsche zu waschen, sie hätten, gelinde gesagt, einen sehr unweisen Schritt getan. Bestenfalls billigst du ihnen noble Motive zu.«
»Heutzutage gibt es solche Frauen ja kaum noch. Die Frauen, die heute Schriftsteller heiraten oder mit ihnen zusammenleben, schreiben meistens selbst oder haben einen anderen anspruchsvollen Beruf.
Du darfst nicht vergessen, was Gabrielle hinter sich ließ, als sie mit ihrem hübschen Helden durchbrannte. Das Leben einer englischen Upper-class-Ehefrau mochte zwar eine gewisse Sicherheit bieten, aber ansonsten verdammt wenig. So viele Alternativen hatte sie nicht. Ich weiß, wie sich ihre Angehörigen verhielten, nachdem sie fortgelaufen war, und das beweist, daß sie praktisch nicht existent waren – die Alternativen, meine ich, nicht die Angehörigen. Gabrielle wollte Abenteuer und Herausforderungen in ihrem Leben, und sie verschaffte sie sich auf dem einzigen Weg, den sie sah. Heute ist es nicht mehr angesagt, reiche Frauen zu bemitleiden – schließlich müssen sie weder zusehen, wie ihre Kinder hungern noch die Kü-
chen anderer Frauen putzen –, aber sie sind trotzdem ein ziemlich ohnmächtiger Haufen. Ich finde, Gabrielle war klug, das zu begreifen.«
»Wie klug sie war, könntest du doch auch in einem kurzen präg-nanten Essay beschreiben.«
»Vielleicht. Aber das ist nicht das einzig Interessante an ihr. Alle, die sich in letzter Zeit mit ihr befaßten, scheinen überzeugt davon zu sein, daß sie etwas unternommen hat, um den Überzeugungen und Ansichten ihres Meisters etwas entgegenzusetzen. Das Memoir von Anne läßt vermuten, daß sie diese Schritte wahrscheinlich sogar schriftlich festgehalten hat. Aber selbst wenn nicht, selbst wenn sich 69
ihre Papiere als bloßes Gekritzel herausstellen – das verborgene Leben einer Frau ihrer Generation verdient es, näher betrachtet zu werden. Das ist meine Ansicht. Und angesichts Simons großzügigem Angebot verspüre ich in der Tat große Lust, mir dieses Leben genau anzusehen.«
»Ich wußte doch, daß du schon alles genau ausgetüftelt hast«, sagte Reed stolz, wie jemand, der auf ein völlig unbekanntes Pferd gesetzt und gewonnen hat. »Und wo willst du anfangen?«
»Ich werde«, sagte Kate so pompös, daß Reed grinsen mußte,
»mit einem Zitat von Luce Irigaray beginnen. Wappne dich! Jungfräulichkeit bedeutet, noch nicht von Männern gezeichnet zu sein, noch nicht von ihrer Sexualität, ihrer Sprache geprägt zu sein!«
»Ah«, sagte Reed. »Du hast also vor, zu beweisen, daß Gabrielle ihr ganzes Leben lang Jungfrau blieb. Und – bist du auch eine?«
»Verdammt, ich wußte, daß du das fragen würdest«, sagte Kate.
»Natürlich
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