Verschwoerung der Frauen
plötzlich in mich zusammen. Ich hatte einen regelrechten Zusammenbruch, fiel in ein tiefes Loch – wirklich, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber auf einmal wurde mir klar, daß ich anfangen mußte, als Anne Gringold zu leben und nicht als Geist, der die Goddards, die Foxx’ und die Jersey-Küste verfolgt.
Ich hatte große Lebensangst, warum, weiß ich nicht, aber es war so. Und ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Also entschied ich mich für die einzige Therapie, die mir einfiel – den absolut klaren Bruch. Ich habe Gabrielle zwar noch besucht, aber sie war innerlich schon weit weg, und ich in gewisser Weise ja auch. Ich zahlte die Safegebühren, dachte aber nicht mehr an meine Kindheit. Erst als ich mein Memoir schrieb, konnte ich von den Papieren sprechen und wieder über die Vergangenheit nachdenken. Das war natürlich lange, nachdem ich Eleanor zufällig getroffen hatte. Jetzt bin ich froh, daß ich das Ganze zu Papier gebracht und diese so entscheidende Zeit meines Lebens nicht einfach weggeschoben habe. Aber zwischen-durch brauchte ich eine Zeit, in der ich ein völlig anderes Leben lebte und ganz ich selbst war.«
Endlich waren der Mann und sein Assistent soweit: Der Safe wurde geöffnet, und dort lagen die Papiere aufeinandergestapelt, an den Rändern schon gelb, aber, wie Kate erfreut feststellte, noch nicht zerfallen. Sie hielt eins der Blätter gegen das Licht und suchte das Wasserzeichen: Gabrielle hatte hundertprozentiges Hadernpapier benutzt. Entweder weil man es ihr zufällig verkauft hatte, oder weil sie irgendwie geahnt hatte, daß es viele Jahre würde überdauern müssen. Vielleicht hatte Foxx diese Papiersorte benutzt und ihr war klar gewesen, daß ihr Manuskript, weil unveröffentlicht, mindestens so lange überleben mußte wie seins. Alle Papiere aus dem Safe zu holen, sie vorsichtig zuerst auf dem Tisch abzulegen und dann so zu verstauen, daß sie nicht knitterten oder einrissen, dauerte einige Zeit.
Anne meinte, Gabrielle habe ihr damals die Papiere nicht erkennbar geordnet übergeben, und womöglich würde es Tage, wenn nicht Wochen dauern, sie in irgendeine vernünftige Reihenfolge zu bringen. Trotzdem kam Kate sich plötzlich vor wie Donald Johanson, als er die versteinerten Knochen des ersten Menschen fand, dem er spä-
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ter den Namen Lucy gab. Nur wenigen Menschen ist es in ihrem Leben vergönnt, Entdeckungen zu machen, die alle bisher dagewe-senen Überzeugungen über den Haufen werfen und der menschlichen Erkenntnis eine neue Richtung geben. Kate hatte das Gefühl, an einem solchen berauschenden Moment teilzuhaben, fragte sich aber trotzdem, womit sie verdient habe, daß so etwas ausgerechnet ihr widerfahre.
Als sie alle Unterlagen in den Tüten verstaut hatten, waren diese verblüffend schwer: Papier ist kein Leichtgewicht. Mehrere Bankan-gestellte halfen ihnen, die Ladung auf die Straße zu tragen und ein Taxi herbeizurufen – ein echtes Londoner Taxi, wie Kate erleichtert feststellte.
Eine Frau saß am Steuer, was, wie alles an diesem schicksalsrei-chen Tag, bedeutungsvoll schien, so als befänden sie sich bei den Dreharbeiten zu einem Film, und nach vielen ausführlichen Beratungen sei der Regisseur zu dem Schluß gekommen, die einzig logische Lösung sei eine Frau in dieser Rolle. Die Fahrerin war nicht nur freundlich, sondern auch zupackend und half ihnen in Highgate, die Taschen ins Haus zu schleppen. Kate bot ihr eine Erfrischung an, während Anne über die Tüten wachte, als könnten sie fortlaufen, wenn sie sie einen Moment aus den Augen ließe. Ja, danke, ein Glas Wasser sei ihr lieb, sagte die Fahrerin (zum Glück, denn Annes Freundin hielt nichts von gekauften Säften oder Sprudeln). Auch das große Trinkgeld war der Fahrerin lieb. So weit, so gut.
Anne schloß die Tür zum Wohnzimmer auf, und sie zerrten die Taschen hinein. Das Eßzimmer hatte zwar den großen Tisch zum Ausbreiten, aber die großen Flügeltüren zum Garten hinaus erschienen beiden plötzlich nicht geheuer. Außerdem mußten sie ja auch irgendwo essen. Sie schoben alle Möbel an die Wände, knieten sich auf den Boden, packten die Taschen aus und verteilten die Papiere in willkürlichen Stapeln über den Boden, riskierten aber doch hin und wieder einen Blick, um zu sehen, ob irgendeine Ordnung erkennbar war. Anne sagte, genauso sei es damals gewesen, als sie mit Dorinda auf Nellies Ankunft gewartet habe. Kate konnte sich nicht erinnern, je so ein Gefühl gehabt zu
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