Verschwörung der Sieben
die Brust hochgezogenen Knien an ein Gebäude gelehnt. Den Namen des Bauwerks kannte er nicht. Der Name der Stadt spielte keine Rolle. Für ihn waren sie doch alle gleich, austauschbare Teile in einem Puzzle, das ihm völlig egal war.
Early rückte seine mächtige Gestalt zurecht und zog den Leinenmantel enger um sich, um weniger aufzufallen. Nicht, daß das nötig gewesen wäre.
Schließlich konnte er sich unsichtbar machen. Er konnte eine Menge Dinge tun, wenn er sich wirklich darauf konzentrierte. Zum Beispiel konnte er hingehen, wohin immer er wollte, indem er einfach die Augen schloß. Und wenn er dort war, konnte er alles tun, was ihm beliebte.
Earvin Early lebte in seinem Verstand. Der Körper bedeutete ihm nichts, war nur eine heruntergekommene Hülle, die lediglich dazu diente, sein gewaltiges Ich aufzunehmen. Aus diesem Grund bestand Earlys Vorstellung von einem Bad darin, in einen Regenschauer zu geraten. Er mochte den Gestank, der von seinem Körper und den verdreckten Kleidern aufstieg, weil er dadurch den Kontakt zu seinem physischen Ich aufrechterhielt. Genau wie der Schmerz, den die Blasen und die nässenden Geschwüre hervorriefen, die Gesicht, Hals und Schultern bedeckten. Der Schmerz bewahrte ihn davor, für immer in eine der Welten abzugleiten, die sein Verstand erschuf.
Plötzlich sah Early Ratten, die den Bürgersteig entlangliefen, ihn umringten, sich auf die Hinterbeine erhoben und an ihm schnüffelten. Early streckte seine Hand aus, um ein paar der Tiere zu streicheln, und sie rieben sich schnurrend an seinen Fingern. Early blinzelte.
Die Ratten waren fort.
Er sah oft Dinge, die nicht von Dauer waren. Schon vor langer Zeit hatte er den Versuch aufgegeben, herauszufinden, was real war und was ein Produkt seines Geistes, der alles vermochte. Statt dessen ging er einfach davon aus, daß alles real war; ein Kompromiß, wenn man so wollte.
Earlys Abscheu vor dem eigenen Selbst war der Grund, weshalb er zu einem Stadtstreicher geworden war. Doch diese Rolle hatte sich zur ultimativen Tarnung entwickelt. Wo immer er hinging, wohin immer sie ihn auch brachten, er fügte sich ein. Auf diese Weise konnte er verschwinden, ohne sich wirklich unsichtbar zu machen, und das war gut, denn sich unsichtbar zu machen, kostete ihn eine Menge Energie. Energie, die er lieber für seine Befreiungen aufsparte.
So nannte Early das, was er am besten konnte. Er wußte, daß er tötete, doch da er seine Opfer nur von jenem Bewußtsein trennte, das sie an die Mittelmäßigkeit fesselte, tat er ihnen im Grunde einen Gefallen.
Er befreite sie.
Erst vor ein paar Stunden hatte Early einen Mann befreit. Und als er das tat, hatte er dafür gesorgt, nicht wirklich dort zu sein, damit niemand ihn sehen konnte.
Doch einer hatte ihn bemerkt. Early hatte ihn gesehen und in dem kurzen Augenblick, bevor er sich verschwinden ließ, auch erkannt.
Der Indianer …
Der Indianer war eine seiner letzten Erinnerungen an die Zeit, bevor sie ihm die Macht verliehen hatten und die reale Welt verworren und nebelhaft wurde. Als er den Sturz in die Schlucht – mit zwei Pfeilen im Leib – überlebt hatte, hatte er erkannt, daß er auf eine höhere Ebene der Existenz übergewechselt war. Gewaltige Kräfte hatten ihn gerettet, Mächte, die weit über das hinausgingen, was er sich in seinen wildesten Träumen vorzustellen vermochte. Eine Welt wurde geboren, die nur er allein bewohnen konnte. Und während er zuließ, daß sein Körper äußerlich verkam, beschmutzte sich der Rest der Menschheit innerlich, blieb gefangen im eigenen Körper und dem eigenen Bewußtsein.
Doch das spielte keine Rolle. Wenn man ihm nur genug Zeit ließ, war Early mehr als bereit, sie alle zu befreien.
Er wußte, daß seine großen Kräfte einem besonderen Zweck dienten, und so wartete er darauf, daß ihm dieser Zweck enthüllt wurde. Und als die anderen dann kamen, wußte er augenblicklich, daß er die Antwort durch sie finden würde.
Er arbeitete nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes für sie, sondern führte nur gelegentlich eine Befreiung durch, wenn sich die Notwendigkeit ergab. Danach verschwand er wieder. Die Tatsache, daß sie stets wußten, wo er zu finden war, bewies ihm, daß sie, genau wie er selbst, jeden Ort zu erreichen vermochten. Die Missionen, auf die sie ihn schickten, und die Objekte, die sie für eine Befreiung auswählten, waren Teil eines weitaus größeren Plans, über den er wenig wußte. Seine besonderen Gaben hielt er
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