Verschwörung der Sieben
ich Gebrauch davon mache!
Frye ärgerte sich zunächst, daß er nicht schon viel früher darauf gekommen war, beruhigte sich aber bald mit dem Gedanken, daß er erst jetzt dazu bereit und ausersehen war. Damit lag das Ziel offen und deutlich vor ihm. Der Reverend hatte das letzte Hindernis auf dem Weg zur Erfüllung seines Schicksals überwunden.
Doch inzwischen war alles wieder in Gefahr geraten. Obwohl der Tag des Gerichts immer näher rückte, fühlte er sich von einem mächtigen Feind bedroht. Frye saß wieder auf seinem üblichen Platz im hinteren Teil des Zuschauerraums seines Kinos und konnte den Blick nicht von der Leinwand wenden, auf dem Blaine McCracken von der Hüfte an aufwärts zu erkennen war. Das überlebensgroße Bild betonte den V-förmigen Oberkörper des Mannes, und seine Gesichtszüge waren von einem Computer so bearbeitet worden, daß sie eine fast comichafte Klarheit gewannen. Auf der dunklen Gesichtshaut waren jede Linie und jede Falte überdeutlich zu sehen. Eine gezackte Narbe lief wie Eisenbahnschienen durch seine linke Augenbraue. Der Bart wirkte, als habe jemand aufs Geratewohl Haarbüschel an sein Kinn geklebt. Die Augen waren schmal und blickten seltsam intensiv, so daß es kaum möglich war, sie für einen längeren Zeitraum anzuschauen.
Harlan hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, jeden Mann mit sich selbst zu vergleichen, und studierte den Betreffenden vor allem unter dem Gesichtspunkt, wie er sich wohl vor einer Menge Gläubiger machen würde, die des Trostes und des Beistands bedurften. McCracken würde dabei keine allzu gute Figur abgeben, weil seine Augen nicht lügen konnten. Dieser Mann konnte nicht vor Menschen stehen und ihnen etwas vormachen.
Frye hingegen vermochte es, sein Auftreten so leicht zu verändern, wie andere ihre Kleider wechselten, und seine Ausstrahlung den Erfordernissen der gegebenen Situation anzupassen. Selbst einen Spiegel konnte er täuschen und ihn dazu bringen, nie zweimal denselben Harlan Frye zu zeigen. Der Reverend war ein paar Zentimeter kleiner als McCracken und hatte dort Fettröllchen, wo sein Kontrahent Muskel-Pakete zeigte. Doch Harlans Gesicht strahlte viel mehr Wärme aus, und er dachte darüber nach, daß man ihm schon als Kind gesagt hatte, er besäße ein Strahlen, das von innen komme. Diese Eigenschaft hatte ihn sein Leben lang begleitet, ohne daß er etwas dafür getan hätte, genausowenig wie McCracken für seinen grimmig intensiven Gesichtsausdruck; es war ihnen angeboren. Der Reverend hatte immer schon die Blicke der Menschen wie ein Magnet angezogen. Manchmal waren sie ihm unangenehm gewesen, wie zum Beispiel die, mit denen Prediger John Reed ihn betrachtet hatte. Doch im Lauf der Jahre hatte Harlan gelernt, wie er das innere Glühen zu seinem persönlichen Vorteil nutzen konnte.
Die Zuschauer, sowohl die, die an seinen Messen teilnahmen, als auch die vor den Bildschirmen, sahen ihn gern und schienen gar nicht genug von ihm bekommen zu können. Doch auf Fotos konnte man ihn leicht übersehen. Fryes Gesicht wirkte eigentümlich weich. Die morgendliche Rasur reichte vollkommen aus, bis zum nächsten Tagesanbruch alle unwillkommenen Schatten zu vertreiben. Er trug das Haar kurz und sauber geschnitten, und er konnte genauso gut als Dreißigjähriger wie als Mittfünfziger durchgehen. Frye mochte seine unauffällige äußere Erscheinung, und manchmal kam es ihm so vor, als bestünden seine Züge aus Teig, die man nach Belieben formen und den Gegebenheiten anpassen konnte. So konnte er jedem so erscheinen, wie dieser ihn gerne sehen wollte. Wenn er mehreren Menschen den Auftrag erteilt hätte, ihn zu porträtieren, wären dabei völlig unterschiedliche Bilder herausgekommen.
Die einzige Konstante in seinem Gesicht waren die Augen. Sie lagen tief in den Höhlen, waren groß und erinnerten an die einer Eule. Ihr Blick drang rief in die Menschen ein und ertappte sie bei ihren innersten Gedanken. Die meisten mieden es, dem Reverend in die Augen zu sehen, und wenn sie es doch einmal taten, konnten sie dem intensiven Blick nicht standhalten. Eigenartig, dachte Harlan, wie McCrackens Augen auf der Leinwand zum Leben zu erwachen schienen. Bei seinen eigenen war das auf Abbildungen nie der Fall. Dieser Widerspruch hatte Frye immer schon beschäftigt, und so weigerte er sich schon seit Jahren, sich fotografieren zu lassen. Nur bei der Messe ließ er sich ablichten, denn dann zeigten die Fotos das Feuer in seinen Augen so lebendig wie in der
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