Verschwoerung gegen Baron Wildenstein
zu lassen.
Die Stimmung im großen Saal des Palas schien insgesamt etwas gedrückt.
Wolframs Aufgabe war es, den Rittern und hohen Herrschaften den Wein nachzuschenken. Er würde erst später essen können, aber das machte ihm nichts aus.
Aufmerksam verfolgte er die Unterhaltungen der Erwachsenen in der Hoffnung, doch noch irgendwo einen Hinweis aufzuschnappen, der ihn vielleicht weiterbrachte.
Eine Gauklertruppe trat auf und verbesserte die Stimmung sichtlich. Sie tanzten in ihren bunten Kostümen durch den Raum, machten Saltos aus dem Stand und zogen Grimassen.
Im Lauf der Zeit sprachen die Bankettgäste immer mehr dem Wein zu, was ihre Stimmung sichtlich lockerte. Bald erfüllten herzhaftes Gelächter und Stimmengewirr den Raum.
Unter den Gästen befand sich auch der Kerkermeister von Burg Wildenstein. Er saß auf einem der hinteren Plätze, da er in der Rangfolge deutlich unter den Burgmannen, den Fuhrleuten, Mägden und Gärtnern kam. Allerdings stand er immer noch ein ganzes Stück über den leibeigenen Bauern oder den Abortreinigern. Letztere hatten ein so geringes Ansehen, dass sie zum Bankett überhaupt nicht eingeladen waren.
Mutig ging Wolfram auf den Kerkermeister zu und schenkte ihm Wein nach.
Eigentlich hatte jemand wie der Kerkermeister selbst dafür zu sorgen, dass sein Krug voll war, und keinerlei Anspruch auf irgendeine Bedienung. Schließlich konnte er froh sein, im großen Festsaal zu Anlässen wie diesem überhaupt geduldet zu werden.
Der Kerkermeister, ein grobschlächtig wirkender, breitschultriger Mann mit kräftigen Armen, sah Wolfram erstaunt an. “Womit habe ich das denn verdient, junger Herr?”
“Ich brauche eine Auskunft von dir, Kerkermeister”, kam Wolfram gleich zur Sache.
“Von mir?” Der Kerkermeister lachte, trank seinen Krug aus und hielt ihn Wolfram erneut hin.
“Ich nehme an, in deinem Beruf hat man viel mit Schlössern und Schlüsseln zu tun?”, sagte Wolfram.
“Das ist gewiss der Fall. Aber ich frage mich, was dich das interessiert!”
“Angenommen, jemand müsste ein Schloss öffnen, dessen Schlüssel er nicht besitzt.
Was könnte man da tun?”
Der Kerkermeister grinste. “Am besten, man macht sich einen Wachsabdruck des Originalschlüssels und stellt eine Kopie her. Ein geschickter Feinschmied kann so etwas.”
“Und wenn kein Originalschlüssel zur Verfügung steht, von dem man einen Abdruck machen könnte?”, hakte Wolfram nach. “Was macht man dann?” Der Kerkermeister wartete mit seiner Antwort, bis Wolfram ihm abermals den Weinkrug gefüllt hatte. “Ah, ich verstehe”, sagte er dann. “Du meinst, wenn man den Schlüssel verloren hat!”
Oder man ein Dieb ist und nicht an ihn herankommt, ging es Wolfram durch den Kopf. Aber das sagte er natürlich nicht laut, da er keinesfalls den Argwohn des Kerkermeisters wecken wollte. “Genau!”, meinte er daher.
Der Kerkermeister beugte sich etwas vor. “Dafür gibt es ganz besondere Schlüssel.
Man nennt sie Dietriche und sie passen in beinahe jedes Schloss hinein. Zumindest wenn sie jemand gefertigt hat, der sich darauf versteht.”
“Wer könnte das sein?”
“Du kennst die Wassermühle vom alten Heinrich?”
“Ja, die kenne ich.”
“Nebenbei betätigt er sich als Löffelmacher, fertigt Nadeln und Nägel und anderes Kleinzeug aus Eisen. Den würde ich fragen!”
Ja, dachte Wolfram. Und vielleicht bin ich ja nicht der Erste, der den alten Heinrich nach einem Dietrich gefragt hat! Es war gut möglich, dass auch der wahre Dieb des Evangeliars einen derartigen Wunderschlüssel besaß und damit in die Zelle von Pater Ambrosius eingedrungen war!
“Ich danke dir für deine Auskünfte!”, wandte sich Wolfram noch einmal an den Kerkermeister. “Um einen Gefallen muss ich dich noch bitten!”
“Und der wäre!”
“Erzähle niemandem, wonach ich dich gefragt habe!”
“Weißt du, wenn ich jetzt selber aufstehen muss, um mir frischen Wein zu holen, komme ich wahrscheinlich an vielen Menschen vorbei, die mich in ein Gespräch verwickeln und …” Der Kerkermeister schwieg, als Wolfram ihm den Rest seiner Weinkaraffe in den Krug schüttete.
“Hey, was ist das denn, Page?”, rief einer der Ritter. “Den ganzen Traubensaft für den Kerkermeister?”
“Ich komme schon!”, versicherte Wolfram.
*
Maria hielt einen Korb in den Händen, in dem sich ein kleiner Imbiss befand. Die Burgherrin – sie hatte das Festbankett bereits verlassen – hatte über einen Laufburschen in der
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