Verschwörung in Florenz
verborgen, oder er war in der Menge der Tanzenden untergetaucht – eine willige Dame fand sich schließlich immer. Doch hier an der langen Tafel war er für jeden sichtbar. Er konnte sich nicht verstecken. Es gab keine Möglichkeit zu entfliehen. Er war den beiden Pazzi schutzlos ausgeliefert.
Ein Diener half Donna Lucia, sich auf dem Stuhl niederzulassen. Sie lächelte Lorenzo an, nickte Clarice einen Gruß zu und blickte dann die Tafel auf und ab, als ob sie nach jemandem suchen würde.
Mich, schoss es Cosimo durch den Kopf. Sie sucht mich. Es war lächerlich, darauf zu hoffen, ihr sei meine Anwesenheit verborgen geblieben. Die alte Krähe weiß, dass ich hier bin.
Der Blick, mit dem Donna Lucia Cosimo bedachte, war eisig. Er war sicher, dass sie sich am liebsten auf ihn gestürzt und ihm die Augen ausgekratzt hätte, wenn ihre Erziehung und Würde dies zugelassen hätten. Sie machte ihn für alles verantwortlich – für das verdorbene Verhältnis zur Familie Medici, für Giovannas zerbrechliche Gesundheit.
Cosimo ließ den Blick über die Tafel wandern. Giovanna war nicht da. Ihre Abwesenheit war keinesfalls ungewöhnlich. Sie war oft krank und musste das Bett hüten. Trotzdem steckte da plötzlich ein Kloß in seinem Hals, den er nicht hinunterschlucken konnte. Arme Giovanna. Wenn man sie dieser Tage sieht, kann man kaum glauben, wie schön sie einst war, dachte er voller Wehmut. Statt zu heiraten, Kinder zu gebären und einen Mann glücklich zu machen, hatte sie die Ehelosigkeit gewählt. Sie war verdorrt wie eine Traube, die man am Weinstock vergessen hatte. Aber warum? Weshalb hatte sie nie geheiratet? An Bewerbern hatte es sicher nicht gefehlt. Ob Giacomo eine Eheschließung verhindert hatte? Er liebte seine Schwester abgöttisch. Hatte er den Gedanken nicht ertragen, sie einem anderen Mann zu überlassen? Hatte er jeden ihrer Freier in die Flucht geschlagen, bis schließlich keiner mehr gekommen war?
Cosimos Blick glitt weiter zu Giacomo. Sie sahen einander nicht mehr oft. Sie versuchten ein Zusammentreffen zu vermeiden, und wenn ein ungünstiges Schicksal es wollte und sie sich doch begegneten, so wechselten sie kein Wort miteinander. Wie jedes Mal, wenn er Giacomo sah, traf ihn sein Anblick wie ein Faustschlag in die Magengrube. Er konnte kaum glauben, dass er mit diesem Mann einst jedes Geheimnis geteilt hatte – erst als Knaben, später als Jünglinge. Gemeinsam hatten sie ganzen Katzenfamilien das Leben gerettet, dem buckligen Bäcker süße Kuchen aus der Backstube gestohlen und sich in den Wipfeln eines alten Baumes von der Ungerechtigkeit und Strenge der Eltern und vom ersten Liebeskummer erzählt. Das Elixier hatte alles verändert. Cosimo hätte alles gegeben für die Möglichkeit, den Tag, an dem sie die Hexe aufgesucht hatten, aus seinem Leben zu streichen. Hätte er an diesem verhängnisvollen Tag doch nur Giacomo betend in der Kapelle der Pazzi gelassen, es wäre alles ganz anders gekommen.
Giacomo saß an seinem Platz mit einem freundlichen Lächeln und sah sich so unbefangen in der Runde um, als wäre nie etwas geschehen. Cosimo wusste, was alle Gäste über ihn dachten, alle Diener, alle Bewohner von Florenz: »Ein netter Herr, der Giacomo de Pazzi«, »so freundlich und großzügig«, »so bescheiden, und trotz seines Wohlstandes vergisst er die Armen nicht«, »nie hört man ein böses Wort von ihm«, »und jeden Tag besucht er die Messe«. Cosimo hätte lachen mögen. Sie alle kannten Giacomo nicht einmal halb so gut wie er. Sie alle wussten wahrscheinlich nicht, dass die wenigen Knechte und Mägde, die in seinem Haus Dienst taten, nur im Flüsterton und mit vor Angst bebender Stimme sprachen, und dass seine eigene Schwester nachts ihre Zimmertür verriegelte. Sie alle hatten seinen Blick nicht gesehen, das Funkeln des Wahnsinns in seinen Augen, als Giacomo ihm vom Tod seines Stiefvaters erzählt hatte. Und vermutlich war er der Einzige, der das Lächeln auf seinem Gesicht durchschauen konnte, als er Cosimo gewahr wurde und seinen Weinkelch hob, um ihm zuzuprosten. Jeder andere, Lorenzo eingeschlossen, hätte nicht verstanden, weshalb ihm bei dieser freundlichen Begrüßung ein Schauer über den Rücken lief und ihm kalt wurde, als würde der eisige Wind den ersten Schnee direkt in Lorenzos Festsaal tragen. Doch Cosimo wusste, dass Giacomo etwas plante. Irgendetwas ging in seinem Kopf vor. Dafür gab es viele Anzeichen. Da war die Linie, die seine Lippen und seine Mundwinkel
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