Verschwörung in Florenz
unzurechnungsfähig. Doch das war er nicht. Dieser Trottel hat im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte eine Göttin gegen ein Waschweib eingetauscht. Und das kann man nicht verzeihen. Aber«, er holte tief Luft und machte eine wegwerfende Handbewegung, »das hat er jetzt davon. Roberto ist fett geworden, und sein Haar schwindet dahin. Niemand in Florenz lädt ihn oder seine Frau mehr ein. Und ich kenne keinen hier in der Stadt, der sein Verhalten dir gegenüber nicht abscheulich fand.« Er legte Anne eine Hand auf die Schulter. »Was ich damit vor allem sagen will, meine Liebe – vergiss den Kerl. Er ist es nicht wert, dass du ihm auch nur eine Träne nachweinst.«
Anne wäre Giancarlo am liebsten um den Hals gefallen. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund, sagte immer das, was er dachte. Wenn Thorsten wirklich ihr Freund gewesen wäre, hätte Giancarlo sie wahrscheinlich bereits in der Trattoria beiseite genommen und ihr empfohlen, ihre Entscheidung doch noch einmal zu überdenken. Er scheute sich nie, Wahrheiten auszusprechen. Und weil sie das wusste, bekamen seine Worte noch mehr Gewicht. So, Roberto war also fett geworden, seine Frau war nicht gerade ein Erfolg, und gesellschaftlich wurde die Familie auch kaum noch beachtet. Das tat gut. Das tat sogar verdammt gut. Das war besser als ein ayurvedischer Ölguss mit anschließender vierhändiger Massage. Rache und Schadenfreude konnten so unendlich süß sein.
»Nun komm«, sagte Giancarlo und hakte sich bei Anne ein. »Reden wir nicht mehr über diesen Dummkopf. Ich werde dir lieber unseren Gastgeber vorstellen. Du wirst Cosimo mögen. Er ist ein stiller, in sich gekehrter Mann, zuweilen etwas sonderbar. Aber er ist wirklich sehr sympathisch. Er ist ein Kunstliebhaber und ein Mäzen, wie ihn Florenz seit den Tagen des großen Lorenzo de Medici nicht mehr gekannt hat. Unzählige junge Künstler haben bereits von seiner Großzügigkeit profitiert. Er fördert Autoren jeder Literaturgattung, finanziert Filmprojekte, und in vielen Theatern der Stadt wäre der Vorhang schon längst für immer gefallen, wenn es ihn nicht gäbe. Lass uns zu ihm gehen. Er steht dort hinten am Büfett.«
Das Büfett war kaum fünfzig Meter von ihnen entfernt, dennoch brauchten sie für die kurze Strecke fast eine halbe Stunde. Bei jedem Schritt trafen sie jemanden, den Giancarlo kannte – Stammgäste seiner Trattoria, Geschäftspartner aus ganz Italien, Bekannte aus dem Künstlermilieu, Freunde. Einigen von ihnen war Anne schon auf anderen Partys begegnet. Damals, als sie hier in Florenz gewohnt hatte, als sie fast jeden Tag bei Giancarlo gegessen hatte, als sie mit ihm und Roberto stundenlang über Kunst, Literatur und Filme diskutiert hatte, als Ausflüge ins Chianti zum Wochenendprogramm gehörten und sie ein Mitglied der jungen florentinischen Highsociety gewesen war. Trotzdem schwirrte ihr schon bald vor lauter fremden Namen und Gesichtern der Kopf, als sie endlich das Büfett und ihren Gastgeber erreichten.
Cosimo Mecidea war ein schlanker Mann von eher durchschnittlicher Größe. Er trug ein schlichtes schwarzes Kostüm. Trotzdem wirkte allein seine Haltung so vornehm und aristokratisch, als hätte er sich gar nicht verkleidet. Er kehrte ihnen den Rücken zu und gab einem der als Köche verkleideten Diener Anweisungen. Doch bereits in diesem Augenblick wusste Anne, dass er jener Mann war. Der Mann, den sie gestern in Giancarlos Trattoria gesehen hatte. Der Mann, der sie so seltsam angestarrt und der sie danach die halbe Nacht in ihren Träumen verfolgt hatte. Sofort begannen ihre Hände wieder vor Aufregung zu zittern.
»Cosimo? Cosimo, mein Freund, hast du eine Minute Zeit? Ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Mecidea drehte sich um, langsam, gelassen, als wüsste er bereits, wem er gleich begegnen würde. Und dann sah er sie an.
»Signora Anne Niemeyer«, sagte er, ergriff ihre Hand, beugte sich galant vor und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. Dabei huschte ein kleines Lächeln über seine Lippen. »Ich habe mir schon gedacht, dass Sie es sind. Es ist mir eine große Freude, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Anne versuchte zu lächeln und hoffte, dass ihre Erfahrungen in Presse und Gesellschaft ausreichten, um ihre Unsicherheit zu verbergen. Es hörte sich an, als hätte Cosimo Mecidea auf sie gewartet, und das schon seit vielen Jahren.
»Ich danke Ihnen sehr für die Einladung, Signor Mecidea«, sagte sie und konnte ihren Blick kaum von seinem Gesicht
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