Verschwörung in Florenz
mehr gegeben, und auch für die nächsten Tage war trockenes, sommerliches Wetter vorhergesagt worden. Eine Katze huschte vor ihr über die Straße und verschwand in einem Hauseingang. Ein Gedanke durchzuckte Anne. Sollte sie sich vielleicht in einem der düsteren Hauseingänge verstecken und warten, bis ihre Verfolger sie überholt hatten? Nein, entschied sie. Bald würde sie am Savoy angekommen sein. Es waren höchstens noch zweihundert Meter. Im Hotel war sie in Sicherheit. Der Portier würde sie beschützen und die Polizei rufen. Wenn sie sich hier irgendwo versteckte, bestand zwar die Chance, dass die beiden einfach an ihr vorbeiliefen, doch die Gefahr, dass man sie entdeckte, war mindestens ebenso groß.
»Bleib stehen!« Die Stimmen ihrer Verfolger hallten jetzt laut durch die Stille der Nacht.
Einen Teufel werde ich tun, dachte Anne, biss die Zähne zusammen und versuchte noch schneller zu laufen. Es ist nicht mehr weit, es ist nicht mehr weit, sagte sie sich und ignorierte die heftigen Seitenstiche so gut es ging. Hals und Mund füllten sich mit zähem Schleim, und sie glaubte jeden Augenblick ersticken zu müssen. Weiter! Du darfst nicht schlapp machen!
Da, endlich! Vor ihr öffnete sich die kleine Straße zur Piazza della Repubblica. Annes Herz machte einen Sprung vor Freude. Gleich würde sie die Lichter der Cafés und Restaurants sehen. Und den freundlichen Schein, der aus dem Foyer des Savoy auf die Straße fiel … Doch auch hier herrschte völlige Dunkelheit.
Das muss ein totaler Stromausfall sein, dachte sie und rannte nach rechts auf die Seite des Platzes, wo das Savoy lag.
Die Erkenntnis traf sie mitten im Lauf. Wie von einer gigantischen Keule getroffen, blieb Anne wie angewurzelt stehen, taumelte zurück, verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings auf die Straße. Dort, wo sich heute Morgen noch die breiten Glastüren des Savoy geöffnet hatten, wo sorgfältig gestutzte Lorbeerbüsche in Kübeln gestanden und höfliche Pagen die eintreffenden Gäste begrüßt hatten, dort, wo sonst der geschwungene Schriftzug eines der besten Hotels von Florenz prangte, war jetzt – nichts. Das heißt, es war nicht wirklich nichts, denn es stand ein Haus an der Stelle. Aber es war nicht das Hotel. Es hatte nicht einmal entfernte Ähnlichkeit mit ihm. Das Savoy war verschwunden. War sie an einem anderen Platz, als sie geglaubt hatte? Hatte sie, die sich normalerweise selbst in unbekannten Städten spielend orientieren konnte, sich verlaufen? Verwirrt sah Anne sich um, ob sie vielleicht eines der anderen Gebäude erkannte. Zwei sahen aus wie die beiden Häuser aus dem Mittelalter, welche die Erneuerung der Piazza della Repubblica im 19. Jahrhundert unangetastet überstanden hatten. Doch die anderen Häuser kannte Anne nicht. Das war niemals die Piazza della Repubblica. Dieser Platz war viel kleiner und gewiss auch sehr viel älter. Aber wo war sie dann gelandet? Dieser Ort ähnelte keinem, den sie kannte. Wo zum Teufel war sie?
Anne war so verwirrt, dass sie nicht einmal merkte, dass ihre Verfolger mittlerweile ebenfalls auf der Piazza angekommen waren. Als sie aufsah, war es schon zu spät. Die beiden Männer waren bereits bei ihr, packten sie an den Armen und zerrten sie brutal wieder auf die Füße. Einer der beiden schüttelte sie, während der andere in ihre Haare griff und ihren Kopf nach hinten riss, sodass sie vor Schmerz, Angst und Wut aufschrie.
»Du wirst uns nicht mehr weglaufen!«, brüllte er sie an und zog ihren Kopf noch weiter nach hinten, sodass Anne beinahe wieder das Gleichgewicht verlor. »Wir werden dir schon beibringen, was es heißt …«
Anne hörte über sich ein Klappern wie von einem Fensterladen, und ein schwacher Lichtschein fiel auf die Straße.
»Ruhe jetzt!«, schrie eine Stimme zu ihnen hinunter, und in einem Kranz aus Licht erschien der Kopf eines Mannes. Wenn Annes Lage nicht so verzweifelt gewesen wäre, hätte sie bestimmt laut gelacht, denn dieser Mensch trug wirklich und wahrhaftig eine Nachtmütze. »Anständige Bürger wollen schlafen!«
Dann schlug er die Fensterläden wieder zu, noch bevor Anne um Hilfe hätte schreien können. Sie sträubte sich und wehrte sich aus Leibeskräften. Die beiden Diener hatten dazugelernt. Geschickt wichen sie ihren Tritten aus, fesselten und knebelten sie, banden ihr schließlich einen Strick um die Taille und zogen sie wie ein Stück Vieh mit sich fort, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren, zurück zum
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