Verschwörung in Florenz
Palazzo Davanzati, zurück in die Hände von Cosimo Mecidea.
Anne weinte. Sie konnte nicht begreifen, wie sie in eine Situation geraten war, die sie nur von der Kinoleinwand kannte, und machte sich schwere Vorwürfe. Warum nur war sie so erpicht darauf gewesen, an diesem Fest teilzunehmen? Warum hatte sie Giancarlo nur bekniet, ihr eine Einladung zu besorgen? Wenn sie nur nicht so neugierig gewesen wäre. Wenn sie doch die Einladung einfach zerrissen hätte. Wenn sie nur …
Hätte, könnte, sollte … Das alles nützte ihr jetzt nichts. Warum war ausgerechnet sie entführt worden? Sie war weder reich an Geld noch an Einfluss; sie hatte keinen Beruf, der ihr den Zugriff zu Gold, Juwelen, Kunstschätzen oder anderen Reichtümern eröffnete; sie hatte keinen Zugang zu geheimen Informationen und auch keine Verwandten, bei denen sich eine Erpressung lohnen würde; sie war nicht einmal eine Klatschreporterin, die ihr Geld damit verdiente, Lügengeschichten über andere zu verbreiten. Sie war einfach nur eine Journalistin, die hier in Florenz ihren Job erledigen wollte. Und wenn es hier gar nicht um solche Dinge ging? Wenn Mecidea ein perverser, geistesgestörter Killer war und sie unglücklicherweise in das Schema seines kranken Gehirns passte? So wie zum Beispiel in Sieben , Das Schweigen der Lämmer oder Knochenjäger . Was war dann?
Dann bist du verloren, dachte sie. Dann kannst du nur hoffen, dass Mecidea der erste geisteskranke Killer ist, der seine Opfer schnell und schmerzlos sterben lässt.
Anne wurde übel. Sie stolperte über ihr Kleid, sodass der Saum riss und sie zu Boden fiel. Sie schürfte sich beide Knie auf und konnte gerade noch verhindern, dass sie sich auch noch im Gesicht verletzte. Doch nicht einmal jetzt zeigten die beiden Männer Mitleid. Unbarmherzig zerrten sie sie wieder auf die Füße und stießen sie voran. Dies war der schlimmste Albtraum, den sie jemals hatte.
Das Kleid ist hin, dachte sie, während sie weitertaumelte. Das kostbare Gewand, das mehr als fünf Jahrhunderte schadlos überstanden hatte, muss nun auf den Müll, weil dich diese Männer quer durch Florenz schleifen, als wärst du nichts weiter als ein Sack Kartoffeln.
Anne fühlte sich plötzlich seltsam distanziert, so als würde das alles jemand anderem passieren, einer ihr völlig fremden Person. Sie selbst stand nur daneben und sah zu, als wäre dies nichts weiter als ein Film oder ein Theaterstück. Es konnte eigentlich gar nicht wahr sein. Und doch spürte sie das Blut an ihren Knien hinablaufen. Es war kein Traum, sosehr sie es sich auch wünschte.
Wie in Trance registrierte sie, dass sie sich auf ihrem Weg zur Piazza della Repubblica nicht wirklich verlaufen hatte. Wahrscheinlich war sie einfach nur eine Seitenstraße zu spät eingebogen und auf der Rückseite des Hotels angekommen. Und statt jetzt sicher und behütet in der Lobby des Savoy zu sitzen, wurde sie durch die florentinischen Straßen gezerrt wie Schlachtvieh. Manchmal entschieden Minuten zwischen Leben und Tod, manchmal nur wenige Meter. Ironie des Schicksals. Es war zum Totlachen.
Je mehr sie sich dem Palazzo Davanzati näherten, umso größer wurde ihre Angst. Ihr Herz klopfte wie ein Dampfhammer, das Blut rauschte in ihren Ohren, und sie konnte kaum noch atmen. Sie wurde fast verrückt vor Angst, und als sie schließlich den Palazzo erreichten, hatte sie das dringende Bedürfnis, sich zu übergeben. Sie würgte und schluckte gegen den Knebel in ihrem Mund an, der ihre Situation nicht gerade verbesserte. Es kam nun auch noch die Angst hinzu zu ersticken.
Lieber Gott, gib, dass er mir nichts tut, lass mich am Leben bleiben, bitte!, flehte sie, während sie die Stufen zum Palazzo hinaufgestoßen wurde. Die Tür stand bereits einladend offen, einladend wie das Tor zur Hölle in der Erwartung weiterer verlorener Seelen. Und im Licht hob sich schwarz und drohend der Umriss eines Mannes ab.
Er erwartet mich schon, dachte sie verzweifelt und fragte sich wohl zum tausendsten Mal in den vergangenen Minuten, weshalb sie nicht einfach den Abend mit Thorsten in einer kleinen billigen Trattoria verbracht hatte, zur Not auch bei Bier und Currywurst. Warum musste sie sich immer in der »feinen« Gesellschaft herumtreiben? Ob Thorsten sie vermissen würde, wenn sie in wenigen Stunden nicht am Frühstückstisch sitzen würde? Würde er dann wohl wenigstens so klug sein, sofort die Polizei zu verständigen? Oder würde er damit bis zum Abend warten?
Und wenn
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