Verschwörungsmelange
Draufgänger,
und meine Reize waren mit 14 auch nicht so ohne.« Sie hatte sich wieder
beruhigt und begann, mit einem Taschentuch ihre Tränen abzutrocknen. »Nach der
Hauptschule haben wir uns dann aus den Augen verloren. Und jetzt ist Gerry
rasch draufgekommen, dass ich es war, die er beschatten sollte. Darum ist er
einfach auf mich zugegangen, anstatt sich zu verstecken. Der Funke ist dann
schnell übergesprungen. Gerry war verliebt wie in alten Tagen, und ich … na ja,
ich hatte halt auch schon lange keinen Sex mehr.« Schön langsam kam Bettina
wieder zurück in ihre alte Form.
»Aber zum Schein hat er die Observierung weiter gemacht und
auch das Geld dafür kassiert«, stellte Leopold fest.
»Was hätten wir denn tun sollen? Wolfgang sagen, dass wir
beide ein Paar sind? Das hätte überhaupt nicht funktioniert. Also haben wir so
weitergemacht und gehofft, dass uns etwas einfällt. Natürlich ist Wolfgang
misstrauisch geworden. Er hat sich ja krankhaft eingebildet, dass ich einen
Freund haben muss.«
»Hat Ihr Freund – dieser Gerry – ein Alibi für den
Dienstagabend?«
Bettina winkte ab. »Nein. Er war mit einem Auftrag
beschäftigt. Aber ich fürchte, es gibt nichts Konkretes, das ihn für die
Tatzeit entlastet.« Sie schaute Leopold herausfordernd ins Gesicht: »Und jetzt
helfen Sie uns. Bitte!«
Leopold überlegte. »Es wird nicht leicht«, meinte er. »Viele
Möglichkeiten, kein Alibi. Wenn man die eigene Unschuld nicht beweisen kann,
bleibt eigentlich nur mehr eins übrig.«
»Und das wäre?«, fragte Bettina neugierig.
»Den wahren Täter zu überführen«, kam es von Leopold mit
Bestimmtheit. »Jedenfalls muss ich so schnell wie möglich mit Gerry sprechen.«
»Ich weiß nicht, ob ihm das recht ist.«
»Liebe Bettina, hier geht es nicht darum, ob Ihrem Freund
etwas recht ist«, stellte Leopold klar. »Es geht um mehr. Es geht darum, ob wir
seinen Kopf aus der Schlinge ziehen können. Also schicken Sie ihn mir bitte
noch heute im Kaffeehaus vorbei.«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt«, sagte Bettina. Es
sah so aus, als ob sie kurz über etwas nachdachte, das ihr durch den Kopf ging,
dann verabschiedete sie sich von Leopold und trippelte so beherzt, wie sie
gekommen war, wieder von dannen.
Leopold sah ihr kopfschüttelnd nach. Was sollte er bloß von
dieser Frau halten? Er konnte sich nicht helfen, aber irgendwie war sie ihm
immer noch sympathisch, und er hoffte, dass sie nicht allzu sehr in den Fall
verstrickt war. Aber was wusste man schon? Wenn Ehrentraut draufgekommen war,
dass ihm nun schon alle beide das Geld aus der Tasche herauszogen, war es
leicht möglich, dass es zu einer Auseinandersetzung mit tödlichem Ende gekommen
war: zwischen ihm und Bettina, Gerry, oder allen beiden.
Diesem Gerry Scheit musste Leopold jedenfalls einmal auf den
Zahn fühlen. Er hätte gern gewusst, warum er ihm auf dem Foto für einen kurzen
Augenblick bekannt vorgekommen war, doch es fiel ihm nicht ein. So steuerte er
gedankenverloren auf das Café Heller zu, wo bald sein Dienst beginnen würde.
Dabei spürte er auf einmal kurz einen Stich in der Seite, dann noch einen. Sie
waren also wieder da, die Wehwehchen. Er hätte in der vorigen Nacht doch nicht
so lange ausbleiben sollen. War er wirklich zum Älterwerden verdammt? Stand ihm
gar der nächste Schub ins Haus? Egal. Der Fall drohte kompliziert zu werden, da
durfte man auf solche Kleinigkeiten keine Rücksicht nehmen.
*
Als Leopold die Helligkeit des warmen
Spätfrühlingstages gegen das gedämpfte, intime Licht seiner Arbeitsstätte
eintauschte, brauchten seine Augen einige Augenblicke, um sich an die neue
Situation zu gewöhnen. Dann gewahrte er eine kleine, eher mickrige Gestalt
jenseits der 50 mit Cordhut und einer beinahe zu warmen Jacke, die sich auf
seltsame Art im Kaffeehaus zu schaffen machte. Der Mann wirkte forsch wie ein
Kammerjäger und akribisch wie ein Tierpräparator. Sein prüfendes Gesicht legte
er dabei in endlos viele Falten. Frau Heller schritt, sichtlich gezeichnet,
hinter der Theke auf und ab, ohne den für sie in solchen Situationen
unverzichtbaren blauen Dunst zu inhalieren, und auch Waldemar ›Waldi‹ Waldbauer
lugte bei seinen Serviergängen interessiert nach vorne.
»Hat der Herr vielleicht eine Kontaktlinse verloren?«, fragte
Leopold beiläufig.
Frau Heller schien nahe dem endgültigen Zusammenbruch. Mit
einer deutlich sichtbaren Handbewegung
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