Verschwörungsmelange
eben um Mord, um eine Extremsituation sozusagen. Aber
Kopf hoch, so schlimm wird’s, denke ich, nicht werden. Dass sich die Sache so
entwickelt hat, dafür kannst du nichts.« Dabei gab er Reinhard einen
freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
»Wenn mein Vater das bloß auch weiß«, sagte Reinhard. Dann
verabschiedete er sich von Leopold und Korber mit einem leisen »Tschüss«, ehe
er seine Beine in die Hand nahm und von ihnen weglief, als könne er die dumme
Episode aus seiner Vergangenheit damit abschütteln.
»Du hättest wirklich nicht so hart mit ihm umspringen
sollen«, meldete sich Korber jetzt wieder zu Wort.
»Du bist vielleicht ein Weichei«, erwiderte Leopold. »Ich
versuche immer, mir dich in der Schule vorzustellen, wie du alle diese Racker
mit Glacéhandschuhen anfasst. Bekommst du überhaupt etwas heraus aus ihnen mit
deiner Sanftmut? Manchmal bezweifle ich das wirklich. Ich habe deinem Reinhard
nur geholfen. Jetzt weiß er wenigstens, wie er dran ist, und was auf ihn
zukommt. Und wir wissen auch wieder ein bisschen mehr.«
»Ich hoffe, sein Vater macht ihn jetzt nicht vor der
Englischprüfung damit fertig.«
»Das wird er nicht, verlass dich drauf.«
»Wie kannst du dir so sicher sein?«, fragte Korber ungläubig.
»Weil die Sache für ihn nicht neu ist«, antwortete Leopold.
»Er hat sicher schon davon erfahren. Überhaupt wissen von den Fotos
wahrscheinlich mehr Leute, als wir ahnen.«
*
Langsam vor sich hinschreitend waren Leopold und
Korber vor dem Kaffeehaus angekommen. »Schaust du auf einen Sprung mit
hinein?«, fragte Korber.
Leopold winkte ab. »Du weißt, das tue ich nicht gern, denn es
gehört sich nicht«, bemerkte er nur knapp.
Worauf er sich bezog, war die allgemeine Unsitte unter Obern
und anderen Servierkräften, auch in der freien Zeit in das Lokal zu kommen, wo
man angestellt war, und eines oder mehrere Gläser zu trinken. In billigen
Kneipen sollte das oft auf das ›familiäre Klima‹ im Betrieb hinweisen. Man
becherte dort Tag für Tag mit den Kollegen, einmal stand man dabei hinter der
Theke, dann wieder davor. Arbeit und Freizeit verschwammen so in ein
promillehaltiges Einerlei, das bei den Saufkumpanen vom Stammpublikum noch
hingehen mochte, sonst aber nur von ziemlicher Niveaulosigkeit und
bedauerlichem Stumpfsinn zeugte. Nicht selten endete die Angelegenheit in einem
Streit mit den eigenen Gästen, der sich bis zur handfesten Auseinandersetzung
ausweiten konnte.
Abgesehen davon, dass solche Dinge im Heller gar nicht
möglich waren, lag Leopold eine saubere Trennung zwischen Dienststelle und
Stammlokal am Herzen. Auch wenn er sich nicht gerade zum trinkfesten Teil der
Menschheit zählte: Man konnte sich nicht einfach in Privatkleidung mir nichts,
dir nichts mit einem Bier an denselben Tisch setzen, auf den man zuvor einen
Kaffee serviert hatte. Es konnte eine schlechte Nachrede geben. Man würde unter
Beobachtung von Frau Heller stehen. Alles, was man redete oder tat, würde einer
genauen Prüfung standhalten müssen. Es gehörte sich nicht.
Dass man sich ab und zu von einem Gast auf ein Glas einladen
ließ, wenn die Sperrstunde näherrückte, hob den Umsatz und zeitigte für
gewöhnlich keine schlimmen Folgen. Dass man sich nach Arbeitsschluss ein
Krügerl genehmigte, während man aufräumte und die Abrechnung machte, das hatte
man sich verdient. Dass man aber dort, wo man sonst als Ober dafür sorgte, dass
alles seine Ordnung hatte, einfach mit seinem Freund als Privatperson
auftauchte, um einen zu heben …
»Es gehört sich wirklich nicht«, wiederholte Leopold
gegenüber Korber. »Und du solltest auch schauen, dass du nach Hause kommst. Ich
vermute, morgen steht trotz meiner warnenden Hinweise wieder ein kleines
Gedicht an, und da ist es gut, wenn man einen klaren Kopf hat.«
Korber gab sich, scheint’s, geschlagen und verabschiedete
sich ohne weitere Umschweife. Leopold schwang sich auf sein Fahrrad, das er vor
dem Heller abgestellt hatte. Aber sein Weg führte ihn noch nicht zu seiner
Stammersdorfer Wohnung.
Er fuhr zunächst zum Schlingermarkt, dann zurück zum Bahnhof
Floridsdorf, schließlich zu den Lokalen am Anfang der in einer Gabel vom
Floridsdorfer Spitz wegführenden Prager und Brünner Straße. Überall, in all den
kleinen und dusteren Kneipen, die lange offen hielten, kehrte er auf einen
Sprung ein, trank Kaffee, dann wieder einen Gespritzten, manchmal ein
Mineralwasser. Er
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