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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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ausgerissen, zum Großvater hinab. Er spielte »Lederstrumpf« und brach sich Bahn zwischen den dichten Ästen der damals noch niedrigen Tannen. An der Kirchhofmauer, die er zur Zitadelle ernannt hatte, kletterte er hoch, ebenso an der steinernen Umzäunung des Herrenhauses, und so stellte er sich nicht selten mit zerrissener Hose, durchlöcherten Strümpfen und schlimm verschmutzt beim Großvater ein. Dachte er jetzt an ihn, dann meinte er ihn beinahe zu sehen, wie er im von griechischen Säulen gestützten Vorbau saß, sein glattrasiertes Gesicht ihm zuwandte und ihm unter seinem spitz gewichsten kleinen Schnurrbart ein Lächeln schenkte.
    Nach dem Tod des alten Herrn hatte die Mutter Ázbej im Haus untergebracht. Bálint vermied es in der Folge, den Fuß dort hineinzusetzen. Er hatte Angst davor, das Haus, die Gemächer wiederzusehen. Wer weiß, wie Ázbej dort wohnte, auf was für kitschig bunte Art er die Zimmer hatte streichen lassen. Selbst der Gedanke daran schmerzte ihn. Und nun zog er eilenden Schrittes der Mutter nach, denn sie war schon ein Stück weit hinabgestiegen.

    Die Kirche war von innen wie von außen weiß. Man hatte die Wände überall mit Kalk getüncht, die Bretter der jahrhundertealten Bänke waren vom vielen Scheuern blass geworden, ebenso wie der von großen Kalksteinplatten bedeckte Boden. Die Orgel war hellgrau gestrichen, doch ihre Farbe und die goldenen Verzierungen wurden von dem allseits einfallenden Licht verschluckt; Gleiches galt für den Baldachin und darüber für die von behauenen Steinen gebildete Kanzel. Die Decke, wiewohl in Quadrate aufgeteilt, mit einer gemalten Blume oder einem Emblem in jedem Viereck, hatte ihre Farben vom Alter ganz verloren, und nur ein sehr aufmerksamer Beobachter mochte an dieser und jener Stelle die gemalten blühenden Tulpen oder Nelken erkennen, nur er konnte das Bild des nach frischem Wasser lechzenden Hirsches oder des Pelikans erkennen, der seine Jungen mit seinem Herzblut nährt.
    Weiß waren auch die Kleider der meisten Männer, Trachten aus dickem Stoff, ihre Hemden glänzten wie Schnee. Bei den Leuten in der ersten Bank überwog Schwarz, im Gegensatz zu dem vielfach vorherrschenden Weiß; hier saßen die angesehenen Bürger: der Gutsverwalter, der Feldaufseher, die Gewerbetreibenden im Dorf sowie der Kassier der Genossenschaft. Auf der Frauenseite herrschte zwar mehr Buntheit, manch eine junge Person trug ein Kopftuch mit farbigen Mustern, Schwarz dominierte aber auch da, denn in den ersten drei Reihen saßen lauter ältere Frauen, die sich in rußfarbene Tücher gewickelt hatten. Schwarz sodann war die Tafel, die am Geländer der Empore hing und die Nummern der Lieder anzeigte. Schwärzer als alles war aber der Pfarrer. Mit seiner langen Nase wirkte er wie eine alte Krähe; mit den Ellbogen stützte er sich auf den gepolsterten Rand der Kanzel und wickelte sich in seinen breiten Talar. Unmittelbar darunter befand sich, mit der Lehne an der Außenmauer, die Bank der Abádys. Auch sie bestand aus weißgescheuertem, altem Tannenholz, doch ihre Ablage war durch eine hellgrüne Samtdecke geschmückt, dem gleichen Stoff wie die Polsterung der Kanzel. Gesangbuch und Bibel auch da. Hier saßen Bálint und seine Mutter. Vor ihnen, frei in der Mitte des Vierecks, gebildet aus der ersten Männerbank, der Bank der Mädchen seitwärts, dem Gestühl der Abádys sowie den Stufen zur Kanzel, stand der Abendmahltisch. Heute war er gedeckt. An anderen Sonntagen lag darauf gewöhnlich nur eine gestickte Decke. Doch jetzt, am Sonntag des Neuen Brots, wird man das Abendmahl nehmen. Wein und Brot standen auf dem Altar bereit mit allen Kleinodien der Kirche von Dénestornya; noch war alles von einem alten Brokattuch bedeckt, unter dem sich die Gegenstände nur schwach abzeichneten.
    Die Orgel brauste leise. Der erste Psalm war zu Ende. Die Mädchen hatten sich vor der Kirchtür versammelt. Nun zogen sie in Gänsemarsch hinein, ihre Absätze klopften eilig auf dem Steinboden – topp-topp-topp –, in der Hast stießen sie einander auch mit den Ellbogen, bugsierten die Nächststehenden in die Bank, und als sie dann alle auf ihren Plätzen standen, neigten sie sich plötzlich und legten Arme und Kopf auf das Brett, das vor jeder Bankreihe verlief und für die Gesangbücher und die Bibeln da war. Während einiger Minuten verharrten sie so. Dann setzten sie sich. Jede hielt ihr besticktes Taschentuch in der Hand. Die eine oder andere hatte auch ein

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