Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Volkspartei: dass die Rothschilds solche Artikel in Auftrag gegeben hätten, da das Haus Rothschild das riesige Geschäft, das die Finanzierung einer Notenbank bedeute, für sich sichern wolle. »Nein! Solchen Sprüchen darf man sein Ohr nicht leihen! Und überhaupt, wenn es das Wohl der Nation erfordert, muss man sich selbst mit der Hölle verbünden!«
Den anderen großen Gesprächsstoff bot die Fülle kursierender Nachrichten über den Entwurf zum Wahlrecht. Es hieß, Andrássy wolle die Pluralität, was so viel bedeute, dass gelehrte, gut ausgebildete Leute über zwei oder sogar drei Stimmen verfügen würden. Man munkelte sodann, Andrássy arbeite an der Neueinteilung der Wahlkreise. Er habe die Absicht, in den Komitaten mit gemischtsprachiger Bevölkerung mehrere nicht-ungarische Kreise zu schaffen, um in den übrigen die magyarische Mehrheit zu sichern. »Was soll das?! Mandate den Nationalitäten überlassen? Wahlkreise schaffen, in denen es nur rumänische oder serbische Kandidaten auf einen grünen Zweig brächten?! Habt ihr je schon etwas so empörend Unpatriotisches gehört?« Warum diesen Weg wählen, wo es doch viel bessere und einfachere Mittel gäbe: in den gemischten Gebieten die Zahl der Mandate vermindern und sie auf dem Tiefland und in Transdanubien erhöhen. »Das wäre doch besser, nicht wahr? Und einfacher.« Dies umso eher, als diese Regionen lauter Parteigänger der Unabhängigen ins Parlament entsenden würden, sodass die Herrschaft der Wortführer – obwohl sie dies nicht mehr laut sagten – für alle Ewigkeiten gesichert wäre.
Auch die Pluralität war also unwillkommen, insofern sie Andrássy mit Blick auf die Nationalitäten befürwortete, und sie war erst recht unwillkommen als ein Anschlag auf die Gleichberechtigung, sofern er sie mit der Absicht plante, den Gebildeten mehr Rechte einzuräumen als den Ungeschulten!
Über die Wahlrechtsreform sprach man im Korridor in diesem Ton, freilich nicht laut, sondern con sordino.
Gesetzt wurde damit eher nur ein Zeichen, dass man zu gegebener Zeit, sollte es dazu kommen, auch so sprechen könnte. Denn dieser Gegenstand wurde einstweilen durch eine andere Angelegenheit verdrängt: die Fusion. Durch die mögliche Vereinigung der Unabhängigen mit der Verfassungs- und vielleicht sogar mit der Volkspartei.
Wäre das unter Dach, gäbe es also eine einzige Partei, entwickelte man folglich das neue Wahlrecht im Interesse und zum Vorteil dieser Partei, käme deshalb die Popularität dieses Gesetzeswerks dieser vereinigten Partei zugute, dann … dann ließe sich womöglich selbst über die Pluralität reden. Oder über diese Sache mit der Einteilung der Wahlkreise. »Mein Gott, Argumenten würden wir uns ja nicht verschließen …«
Dass aber ein anderer die Reform durchführen, die Erweiterung des Rechts vollziehen würde und dass Andrássy anstelle der Unabhängigkeitspartei die damit einhergehende Popularität einstreichen könnte! »Nun, das nicht! Wir sind doch nicht wahnsinnig geworden!«
Dabei, so sagte man, waren Verhandlungen dieser Art im Gange. Die Nachrichten lauteten verschiedenartig. Kossuth befürwortete angeblich die Fusion. Justh sei dagegen, Ugron und seine Umgebung schwankten. Polonyi vermittle, sagte man, er mische womöglich die Karten, obwohl er sich im Winter mit der Regierung zerstritten habe. Aber so ist es halt in der Politik, nicht wahr?!
Diese drei Themen waren indessen lauter innere Angelegenheiten der Koalition. Es gab auch anderes, und das betraf die Außenwelt. Tiszas gefährliche Bösartigkeiten bildeten einen ständigen Gegenstand. Hinter jeder Schwierigkeit wurde Tisza vermutet, an jedem Hindernis trug er die Schuld. Er war der Einzige im Land, den die regierenden Partner fürchteten, und diese Furcht wirkte sich mit Blick auf die Dauerhaftigkeit des Regimes insofern segensreich aus, als dieses gemeinsame Element die Koalition beisammenhielt. »Wenn wir auseinandergehen, dann kommt Tisza!« Folglich blieben sie eher beisammen. Dies verhielt sich von Anfang an auf solche Weise.
Als eine neuere, freilich bei weitem minder aufregende Geschichte galt Kristóffys Tätigkeit.
Kristóffy, wie wir gesehen haben, war im Frühjahr in Budapest mit der Gründung der Radikalen Partei hervorgetreten. Viel mehr darüber vernahm man in der Folge nicht, und nun, Anfang September, wurde sogar die erfreuliche Tatsache bekannt, dass die Räumlichkeiten der Radikalen gekündigt worden seien und die Partei sich aufgelöst habe.
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