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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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saßen noch an einigen Tischen in der benachbarten äußeren Gaststätte. Auch Bálint Abády brachte nach einem Opernbesuch zwei ausländische Ehepaare hierher, gute Bekannte aus seiner Diplomatenzeit.
    Während der Herfahrt war er etwas besorgt, denn am gleichen Nachmittag hatte die erste sozialistische Kundgebung als Protest gegen das Wahlrecht stattgefunden. Nach einer Großversammlung auf der Aréna-Chaussee hatte eine militante Gruppe versucht, in die Innenstadt vorzudringen. Sie kam auf der Andrássy-Allee bis zur Vörösmarty-Straße. Dort stieß sie auf den Kordon der Ordnungshüter und auf berittene Polizisten. Diese schlugen mit der flachen Klinge zu und drängten die Demonstranten zurück. Bálint lehnte sich nun aus dem Wagenfenster, als sie die Stelle passierten. Ihm wäre es wegen Ungarns Ansehen peinlich gewesen, wenn man noch Spuren der Vorfälle hätte entdecken können. Doch nichts mehr war sichtbar. Vielleicht hatte man den einen oder anderen Wachposten verstärkt, doch auch dies auf unauffällige Weise …
    Die Walzer tönten aus der Nachbarschaft in den Speisesaal hinüber. Nach dem Abendessen war es folglich, so auch für Bálint, beinahe eine Pflicht, eine der Frauen zum Tanz zu führen, zum Boston, der freilich ziemlich mühsam gelang, denn auf echte Art – links-links – beherrscht man ihn richtig nur bei uns und in Wien. Er unterzog sich dem Frondienst einiger Runden, dann blieben sie stehen. Ihm war ein wenig schwindlig, denn er hatte es nur mit großem Schwung geschafft, seine Tänzerin zu drehen. An den Serviertisch gelehnt, trocknete er sich die Stirn.
    Die Frau wurde von einem anderen Tänzer weggeführt. Kaum einige Minuten war er dagestanden, als – leicht wie ein Vogel, der sich auf einen Ast niederlässt – ein Mädchen in Tüllkleid zu ihm hinschwebte. Und eine vertraute Stimme ertönte.
    »Guten Abend. Erkennen Sie mich noch?«
    Es war Lili Illésváry. Aber wie verändert! Nichts war von der kindlichen Molligkeit übrig geblieben, die noch ein Jahr zuvor ihre Gestalt gepolstert hatte. Groß und schlank war sie geworden. Da stand kein draller Backfisch mehr vor ihm wie damals in Jablánka, sondern ein heiratsfähiges Mädchen mit glatter Haut und klaren Linien von Hals und Schultern, wie man sie an frühen griechischen Statuen sieht. Gewiss war sie sich ihrer neu gewonnenen Lieblichkeit bewusst. Darum lächelten ihre veilchenblauen Augen Bálint so vertrauensvoll an, darum lachte ihr fein gezeichneter Mund, durch dessen weiche Linie das von der Szent-Györgyi-Seite geerbte, recht bestimmte Kinn gemildert wurde.
    »Erkennen Sie mich?«
    »Gräfin Lili?!«, rief Abády, und aus seiner Stimme hörte man heraus, wie sehr ihn der Anblick des erblühten Mädchens überraschte. Auch Lili verstand den Ausruf so, und sie lächelte noch fröhlicher.
    Sie sagte, gleichsam zur Erklärung: »In der Frühlingssaison waren wir in Wien … Man ließ mich viel tanzen … Es ist schon bald ein Jahr her, seitdem Sie mich nicht mehr gesehen haben … oh, damals war ich noch ein solches Kind …«
    Sie redete anmutig, und Bálint hörte mit Genuss ihre ein klein wenig rauhe, aber liebenswerte Sprechweise, die er schon in Jablánka so charakteristisch gefunden hatte.
    »Ich habe Sie auf den großen Bällen einige Male aus der Ferne gesehen«, sagte das Mädchen, »aber Sie haben sich mir nicht genähert. Ich dachte, Sie hätten mich nicht erkannt oder vielleicht gar nicht wahrgenommen. Oh, es gab ja immer solch ein Gedränge … Im Übrigen ist es ja nicht Ihr Fall, Mädchen zum Tanz zu führen … eher Frauen, versteht sich …«
    Die Frage ging Bálint durch den Kopf: Hat diese Kleine vielleicht etwas von Adrienne vernommen? Doch Lilis veilchenblaue Augen blickten ihn in solcher Freude an, dass da jede Böswilligkeit ausgeschlossen schien. Und schon sprach sie weiter: »Bei solchem Rummel kann man ohnehin nur grüßen und wie eine Maschine tanzen.«
    »Aber Sie mögen ja das Tanzen«, fiel ihr der Mann ins Wort.
    »Ja, sehr! Aber Sie … Graf Bálint« – Ihr Zögern war spürbar, ob sie den Geschlechtsnamen oder die vertraulichere Form wählen sollte –, »Sie haben sich in Jablánka einige Male mit mir unterhalten, man entsinnt sich also und nimmt den Menschen wahr, der … mit dem man so am Anfang …«
    »Aber ja, wir gingen bei der großen Treibjagd zusammen …«
    »Schon, auch da, aber auch später, und wir sprachen über Pferde, und Sie sagten, dass Sie ein Gestüt hätten … und dass

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