Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Unabhängigkeitspartei, da sie keine Wahl zu treffen vermochte, feierte sowohl Justh als auch Ferenc Kossuth einstimmig und mit gleicher Begeisterung. Dennoch war es offensichtlich, dass Kossuths Position immer schwächer wurde und Justh als der tatsächliche Beherrscher der Parteimehrheit galt.
Abády bewegte sich während dieser Zeit wie ein Nachtwandler. Vielleicht hatte er sich in der Hauptstadt noch nie so fremd gefühlt wie in diesen Monaten. Die Ereignisse im Ausland und die kleinen Zeichen, die von einem Kampf in den führenden Kreisen der Monarchie zeugten, beanspruchten seine volle Aufmerksamkeit. In Jablánka, wo er erneut an einer dreitägigen Jagd teilgenommen hatte, war dies bereits ausführlich zur Sprache gekommen. Man unterhielt sich vornehm wortkarg, wie sich das im Hause Szent-Györgyi geziemte, drückte sich aber klar aus. Slawata war natürlich nicht dabei, aber Pfaffulus wusste viel.
Aehrenthal wollte die Krise friedlich überstehen. Als Karrierediplomat strebte er nach einem Erfolg ohne militärischen Eingriff; denn dort, wo die Kanonen ihr Wort zu sprechen beginnen, gehört der Triumph nicht mehr der Diplomatie, sondern dem Militär. Die Kunst eines Außenministers besteht darin, den Sieg ohne Kriegshandlungen am grünen Tisch zu erringen. Conrad als sein Gegenspieler drängte indessen auf einen Einmarsch, und er hatte recht mit der These, dies sei für die Monarchie der letzte Augenblick, um Serbien niederzuschlagen, Bulgarien an sich zu binden und die eigene Autorität auf dem Balkan wiederherzustellen. Die Großmächte hatten Österreich-Ungarn freie Hand gelassen, und Russland stand zu dieser Zeit noch nicht bereit. Der König wünschte Frieden. Ebenso Franz Ferdinand, denn ihm war Conrad schon jetzt verhasst; freilich hasste er auch Aehrenthal, weil der Minister, um seinen Worten im Ausland größeres Gewicht zu verleihen, die Meinung vertrat, dass die nationalen Forderungen der Ungarn erfüllt werden könnten, wenn dies im Gegenzug ermögliche, die Armee zu entwickeln. Der gemeinsame Kriegsminister vertrat die gleiche Ansicht. Ein Ringen von drei Persönlichkeiten war also hinter den Kulissen im Gang; der Thronfolger, Conrad und Aehrenthal hassten einander wechselseitig, und jeder versetzte den anderen kleine Nadelstiche.
Adrienne und BA trafen sich in diesen Wintermonaten nur gelegentlich. Die Frau versuchte, mit ihrem Mann möglichst wenig Zeit zu verbringen, Uzdy die ununterbrochene Gemeinsamkeit abzugewöhnen. In der Stadt wären sie nach Margitkas Wegzug ständig zu zweit gewesen. Deshalb verbrachte sie wiederholt mehrere Wochen auf dem Land bei ihrem Vater, und zwar unter dem Vorwand, dass Ákos Milóth unpässlich sei und Judiths Zustand sich verschlechtert habe. Sie versuchte damit allmählich die Scheidung vorzubereiten. Noch konnte sie den entscheidenden Schritt nicht tun, noch nichts sagen. Ihre Tochter hielt sich in Meran auf, sie befand sich in der Obhut der Schwiegermutter, und diese wäre wohl fähig gewesen, das Kind niemals mehr nach Hause zu bringen, wenn sie von Adriennes Absicht erfahren hätte. Die eigene Tochter hätte sie aber um keinen Preis in der Hand der Uzdys zurückgelassen. Sie zog es vor, umsichtig vorzugehen.
Ihr gemeinsames Ziel lag nicht mehr so weit entfernt. Noch einige Monate. Bis dahin galt es, achtsam zu sein, sich nur selten zu treffen, damit kein Zufall Unglück schuf. Denn das Ziel bestand nun nicht mehr in ihrer Vereinigung allein. Einander zu besitzen – dem hatte ihr Streben am Anfang ihrer Liebe gegolten. Jetzt aber steigerte sich die Sehnsucht nach einem Kind, nach einem Sohn. Der Phantomjunge, der in ihrer Vorstellung im Frühjahr aufgetreten war, beherrschte sie mit jedem Tag stärker. Ihre Briefe handelten schon zu einem guten Teil von ihm.
In der Frau meldete sich der Mutterinstinkt zu Wort. Die Liebe einer echten Frau enthält stets das Verlangen zu schenken, etwas möglichst Wertvolles zum Geschenk zu machen, das möglichst viel Freude bereitet. Und das Größte, das sie geben kann, ist ein in Liebe empfangenes Kind, geboren unter glücklich auf sich genommenen Schmerzen und um den Preis von Gefahren für das eigene Leben. Auch Adrienne empfand so. Es bereitete ihr beim Lesen Lust, in Bálints Briefen den Widerhall ihrer Sehnsucht zu finden. Der Wunsch, Vater zu sein, ist nicht uralt, nicht naturgegeben, sondern von der Gesellschaft auferlegt. Unzivilisierte Völker kennen ihn nicht. Die Kultur, sittliche und gesellschaftliche
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