Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
doch fiele ein Schatten auf ihn, und damit würde ihm Unrecht geschehen. Nein … ich übernehme das nicht.«
Frankel erhob sich.
»Schade«, sagte er, während er die Schriften wieder in seine Aktenmappe zurücklegte. Vor dem Abschied fügte er noch an: »Wenn Sie es sich doch noch anders überlegen und die Unterlagen benötigen sollten, Herr Graf, stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.«
Bálint lächelte, als sich die Tür hinter dem Direktor schloss. Er hätte die Interpellation auf keinen Fall übernommen, doch es bereitete ihm Genugtuung, das Dinóra gegebene Versprechen so schnell eingelöst zu haben.
Über die Frage der Einkommenssteuern war im Parlament eine heftige Diskussion in Gang gekommen. Zum Gegenstand von Angriffen wurden die den Genossenschaften gewährten Erleichterungen. In der damaligen individualistischen Welt hielt man die staatliche Unterstützung von Organisationen mit Volkscharakter für ungerecht.
Die meisten betrachteten die Genossenschaftsbewegung mit scheelen Blicken, und dies nur schon darum, weil ihr Apostel, Sándor Károlyi, und ihre Anführer, György Bánffy, Zselinszky und Aurél Dessewffy, alle Grafen waren; István Bernáth und Rubinek wiederum gehörten zu den Agrariern und zum Lager des Landes-Wirtschaftsvereins. Sie standen der Tagespolitik fern und unterhielten keinerlei Kontakte zu den herrschenden Parteien. Die Angriffe hatten aber auch prinzipielle Gründe.
Man hielt die nationalökonomischen Lehrsätze von dem freien, unter gleichen Bedingungen ausgetragenen Wettbewerb und vom Freihandel für wissenschaftliche Dogmen, als handle es sich um die ewigen Gesetze der Astronomie, obwohl später selbst sie von Einsteins Relativitätstheorie mit einem Fragezeichen versehen wurden. Nach geltender Auffassung bedeutete jede Abweichung von der Gleichheit der wirtschaftlichen Bedingungen, die Gewährung jedes Vorteils, ob sie nun mit der Erhaltung der Nation oder mit beliebigen altruistischen Absichten begründet wurde, eine Sünde wider das Dogma, ein Vergehen gegen die Lehre des Liberalismus.
Mit einer Leidenschaftlichkeit, die in Steuerfragen ungewöhnlich wirkte, wurde die Vorlage attackiert. Eingereicht hatte sie Wekerle, doch die Punkte, welche die Genossenschaften betrafen, stammten von Darányi. Den Kritikern entging, dass sie jene Krämer und Schankwirte verteidigten, die Wuchergeschäfte betrieben, und dass sie gegen das Bauernvolk sprachen, gegen ihre Wähler.
Natürlich fanden sich aber auch Abgeordnete, die für die Vorlage eintraten. Abády gehörte zu ihnen. Er sprach diesmal besser als zwei Jahre zuvor. Einige hörten ihm interessiert zu. Darányi nickte manchmal ermunternd. Doch den größten Teil der Abgeordneten ließ das alles kalt. Sie hatten andere Sorgen, wo doch gleichzeitig in einem Seitensaal die Bankenkommission beriet und eine Erklärung verabschieden wollte: Die Lizenz der gemeinsamen Notenbank werde nicht verlängert und die Regierung angewiesen, ihren Entwurf zur Schaffung einer selbständigen Bank dem Parlament vorzulegen.
Boten kamen und gingen, berichteten vom Stand der Dinge in der Kommission und von der Atmosphäre, die immer giftiger werde. Endlich gegen Schluss der Sitzung hieß es dann, die Regierung habe vor der Beschlussfassung mit größter Mühe so viel erreicht, dass die Kommission sich vertage; das Kabinett sei auf diese Weise der Gefahr entgangen, offen überstimmt zu werden.
Bálint fand, nachdem er seine Notizen zusammengesammelt und den Saal verlassen hatte, im Korridor eine große Gruppe von Abgeordneten vor, die über den Fall ihre Meinungen austauschten. Boros stand, auf der Seite gegenüber, unter ihnen. Als er Bálint erblickte, rührte er sich. Er wollte sich ihm nähern, um ihn zu seiner Rede zu beglückwünschen. Es war eine kaum begonnene und jäh ersterbende Bewegung, denn Bálint beschleunigte seine Schritte. Die Szene erregte keinerlei Aufsehen. Boros spürte dennoch instinktiv, dass sich Bálint absichtlich entfernt hatte. Hierin täuschte er sich nicht. Bálint wollte einem öffentlichen Handschlag mit Boros aus dem Weg gehen. Darauf hatte sich das Dinóra gegebene Versprechen nicht mehr bezogen, und er wusste wohl, dass es seinem Gegner einzig darum ging, ihm demonstrativ die Hand zu schütteln, den Herumstehenden vorzuführen, dass sie Freunde seien.
Boros blickte einen Augenblick lang dem davoneilenden Abády nach. Eine dünne Falte kerbte sich in seine schöne, glatte Stirn ein. Dann schloss er sich
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