Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
schwindelerregende Höhe. Als Erstes blickte er hinauf. Dann schaute er durch das Drahtnetz der eisernen Tür nach unten. Wie schnell sich die Kabine verkleinerte, als sie sich im engen Schacht wieder senkte. Eine schwindelerregende Tiefe.
Bálint verbrachte zehn Tage in Siebenbürgen, drei in Dénestornya, zwei im Hochgebirge und die übrigen Addys wegen in Klausenburg. Addy nahm den Weg über Klausenburg, und sie machte seinetwegen während einiger Stunden Station.
Er reiste mit dem Schnellzug am frühen Morgen zurück. Am Bahnhof begegnete er zwei Bekannten, Ádám Alvinczy senior und Tamás Laczók. Den Vater der Brüder Alvinczy schienen Sorgen zu plagen. Kein Wunder. Sein Sohn Farkas, der Abgeordnete, war wieder in Schulden geraten, und er unternahm die Reise nach Pest, um die Lage irgendwie zu bereinigen. Laczók indes war glänzender Laune.
»Salut!«, rief er ihm schon von weitem zu, und mit raschen französischen Worten setzte er ihm auseinander, dass auch er nach Pest fahre. »Une énorme affaire!« Eine gewaltige Geschichte sei es, der er zurzeit nachgehe. Im Zug werde er erzählen. Und er kam denn auch gleich in Bálints Abteil herüber.
»Ich habe nachgeforscht«, so begann er, »und herausgefunden, dass die oberste Aufsichtsbehörde der Forstbesitzer-Gemeinschaft dem Landwirtschaftsminister untersteht.« Deshalb reise er jetzt in die Hauptstadt. Zwar habe sich Abády – »mon jeune ami« – geweigert, sich des Prozesses zwischen der Firma Laczók und der Eigentümergemeinschaft anzunehmen und wegen des Falles Skandal zu machen, aber er sei seinerseits mit der Sache noch nicht zu Ende. Boros habe beim ersten Zusammenstoß die Oberhand behalten – »il a gagné la première manche« –, die Kammer habe ihn freigesprochen, und gegen das kleine Winkelblatt, das jene Artikel veröffentlicht hatte, sei ein Presseprozess eingeleitet worden. Er selber aber, wie er langfädig darlegte, verfolge die Affäre weiter, und zwar auf andere Weise. Er werde sich jetzt an den Minister wenden und ihn bitten, einen Revisor auszuschicken, der Forstbesitzer-Gemeinschaft eine Untersuchung an den Hals zu hängen und die Direktion zu suspendieren. »Dann werden sich unter den Herren welche finden, die zu sprechen bereit sind. Hier habe ich die Unterlagen. Tous les documents, mon cher! Tous les documents!«
Bálint nahm die Ausführungen mit Humor auf; amüsiert betrachtete er den kleinen, runden Mann. Er fand ihn äußerst merkwürdig, wie er mit seinem lautenförmigen Bart und kahlen Schädel, einer chinesischen Gottesstatue gleich, in gerader Haltung vor ihm saß. Hoffnung leuchtete in seinen mongolisch geschnittenen Augen, und mit der Hand und den kurzen Armen schlug er manchmal klatschend auf die Aktenmappe, die er zwischen den Knien hielt.
»Mon frère Jenő, il va en crever!«
Jenő, mein Bruder, wird platzen! Dies war das einzige Ziel, das er vor sich sah. Dass Jenő, sein Bruder, platzen solle.
Die Nachrichten aus dem Ausland, die in der Hauptstadt vorlagen, waren erneut schlechter: Truppenverlegungen an die Südgrenze. In diesem Zusammenhang Verhängung der Zensur, was als ein Zeichen sehr ernsthafter Art galt.
Dem Botschafter der Monarchie in Sankt Petersburg wurde von Iswolskij mitgeteilt, dass sich Russland zwar zur Solidarität mit den übrigen Mächten bekenne, dies aber nichts an der Notwendigkeit ändere, das ganze Bosnienproblem zum Thema einer Konferenz zu machen. Hierauf belebte sich in Belgrad die Hoffnung neu, wo nun wieder Krieg zum Losungswort wurde.
Der Ballhausplatz bereitete ein Ultimatum vor. Dies wurde – vielleicht absichtlich – in der Außenwelt bekannt. Serbien mobilisierte trotzdem. Die Monarchie stand kurz davor, den Krieg zu erklären.
Während sich diese Wolken türmten, hatten die Parlamente der zwei Länder ganz andere Sorgen. Im österreichischen Reichsrat kam es zu einer Reihe von Angriffen gegen die Ungarn gewährten militärpolitischen Zugeständnisse, die nicht nur Aehrenthal, sondern auch der Kriegsminister selber für vertretbar hielt und um deren Preis man mit dem Neuaufbau der Armee gleich hätte beginnen können. Der Thronfolger stand hinter den Angriffen, die von seinen Vertrauensleuten geführt wurden. Sie handelten auf sein Geheiß. Im ungarischen Parlament wiederum hatten sich die Ereignisse überschlagen. Die Bankenkommission erklärte in einer weiteren Sitzung, dass sie weder das Bankkartell noch ein Provisorium akzeptiere. Für die von Justh geführte
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