Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
den ihr dargereichten Bericht kaum an und wiederhole nur kühl.
»Geh, so geh doch … Ja, es ist in Ordnung … geh …«
Ihre leicht vorquellenden Augen wirkten, als wären sie aus Glas.
Bálint verbrachte lediglich einige Tage im Hochgebirge. Er hörte sich die Berichte der Forsthüter an, welche die Hirsche gesichtet hatten, er sah sich die im lehmigen Boden eingetrockneten Wildspuren an, traf seine Verfügungen über Salzlecken, Futterkästen und andere forstwirtschaftliche Fragen, die zur Entscheidung standen, da ja ein so großes Gut ständige Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordert. Im Geiste aber weilte er nicht hier; die Krise, die in der Angelegenheit von Adriennes Scheidung eingetreten war, nahm seine Gedanken ganz in Anspruch.
Lustlos erledigte er alles, als verrichte er Frondienst, auch die Schönheit der Natur ließ ihn gleichgültig. Er konnte den Tag seiner Abreise kaum erwarten. Der Brief, den er in Budapest vorfand, war länger, aber Klarheit schuf er nicht. Mit unbestimmten Ausdrücken standen darin die zitierte Erklärung des Arztes sowie die paar Worte, mit denen er sie beim Abschied ermuntert hatte. Eine Stelle im Brief indessen stimmte Bálint nachdenklich: Da standen zwei Sätze über Adriennes Tochter, und dies in Zusammenhang mit Dr. Kischs Ansicht, wonach eine Erschütterung in Uzdys heutigem Zustand eine gefährliche Wende herbeiführen könnte.
»Man muss auch das Schicksal meiner Tochter in Rechnung stellen, auch ihre Kinderseele braucht Schutz«, schrieb Adrienne.
Die Frau hatte die beiden Sätze nur darum eingefügt, damit Abády bei der Erwähnung der Gefahr nicht im Glauben sei, es gehe einzig um seine eigene Gefährdung. Sie wusste, dass er dies als Grund der Verzögerung nicht akzeptieren würde. Im Übrigen durfte sie die Zeilen mit vollem Recht niederschreiben, denn sie hing sehr an ihrem Kind, obwohl die Schwiegermutter es ihr immer mehr entfremdete. Die Besorgnis nahm sich freilich etwas übertrieben aus, denn die kleine Klémi lebte abgesondert von ihren Eltern, sie wohnte unter der Aufsicht der französischen Gouvernante und der Engländerin in einem anderen Teil des Hauses, sodass sich das Kind von allen möglichen Geschehnissen, die sich anderswo zutrugen, leicht abschirmen ließ.
Auch Bálint war sich darüber im Klaren. Darum stieß er sich an den zwei Sätzen, die Adriennes Tochter galten. Da nahm eine Reihe von Überlegungen ihren Anfang, die seine Handlungen bestimmen sollten. Ihm schien, dass Adrienne von neuem daran dachte, gegen ihre Schwiegermutter den Kampf um das Kind aufzunehmen. Dass sie die Scheidung diesem einen Gesichtspunkt – ob sie bei einer Trennung von Uzdy ihre Tochter mitnehmen könne – unterordnen wolle. Dass sie die Überlegung anstellte, war natürlich und anerkennenswert, aber doch nur eine nebensächliche Frage, wenn es um ihre gemeinsame Zukunft ging. Nebensächlich vor allem darum, weil das Kind Adrienne kaum mehr gehörte, man hatte es ihr längst, von der ersten Minute seiner Geburt an, weggenommen. Adrienne selber sah es nicht anders, sie sprach es oft aus.
Dieses Kind mit der finsteren Miene und den Bewegungen eines Automaten, in dem es nichts Junges, nichts Kindliches gab, es war wirklich in Almáskő zu Hause, es schlug ganz in Uzdys Art, nichts trug es in sich von der glänzenden Frau, die es auf die Welt gebracht hatte. Gern hätte er für das Kind gesorgt, wenn Adrienne es mit sich gebracht hätte. Aber wenn man es nicht hergab? Sollten sie etwa dem Besitz des Mädchens ihr Lebensglück opfern?
Als er darüber grübelte, trat in seinem Inneren mit neuer Kraft das Kind in Erscheinung, das aus ihrer Vereinigung auf die Welt kommen würde. Bereits ihre erste Vorstellung damals, in jener Märznacht, war dadurch entstanden, dass Addy erwähnte, sie habe die Absicht, Klémi mit sich zu bringen.
Ja, diesen idealen Jungen musste man dem lebendigen Kind entgegensetzen! Die Sehnsucht nach Mutterschaft sollte sich mit der Mutterliebe messen. Und auch anderes war vonnöten: die Frau vor vollendete Tatsachen zu stellen. Er selber musste alle Brücken hinter sich abbrechen: sich von der Mutter lossagen und von Dénestornya freiwillig verbannen, alles, alles hinwerfen, woran er mit ganzem Herzen hing. Und war dies alles einmal geschehen, dann sollte Adrienne ihre Wahl treffen: Folgt sie ihm, oder verrät sie ihre Liebe um jenes fremden Mädchens willen, dessen Besitz sie sich ohnehin nur einbildet? Ja, sagte sich Bálint, dieser Weg
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