Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
allein steht offen, es gibt keinen anderen, nur den einen!
Er beschloss, bis Ende August abzuwarten. Dr. Kisch hatte versprochen, um diese Zeit in Almáskő wieder einen Besuch zu machen. Er wollte in Budapest bleiben und sein Verdikt hier erfahren. Sollte das Urteil erneut auf Verzögerung lauten, ohne dass Adrienne etwas unternahm, dann würde er handeln.
Nicht vorher.
Etwas anderes aber galt es, schon vorher zu erledigen. Er musste für die künftige gemeinsame Wohnung sorgen, da ja das Vierteljahr am ersten August begann.
Er fand, nachdem er während einiger Tage gesucht hatte, eine passende Wohnung. Der Eingang lag in der Döbrentei-Straße, die Fenster gingen aber auf die Donau, und zwar beim ruhigsten Punkt, der sich entlang dem langen steinernen Quai fand. Es war ein modernes Haus mit drei wunderbaren Zimmern, aus denen man auf den mächtigen Fluss blickte. Er besichtigte die Räume und stützte bei einem Fenster seinen Kopf auf die Ellbogen. Es war im dritten Stock. Der Blick streifte über die Brücken in weite Ferne, er folgte dem Wasser flussaufwärts und -abwärts und richtete sich über die vielen Dächer von Pest hinweg gegen Osten, wo Siebenbürgen lag. Schön würde es sein, hier zu leben. In der Verbannung zwar, gewiss, verbannt vom eigenen Geburtsland, vom alten Familiensitz Dénestornya, wo er sich ihr künftiges gemeinsames Dasein vorgestellt hatte. Und doch würde es hier schön sein, ein wenig wohl auch schmerzhaft, trotzdem aber schön, wenn dereinst sich Adrienne neben ihm an den Sims lehnt. Für eine kurze Weile vergegenwärtigte er sich die Frau so lebhaft, dass er beinahe meinte, ihr wild gekraustes Haar streife sein Gesicht.
Das Parlament war vertagt worden. Auch in der Außenpolitik herrschte Windstille. Nur kleine Zeichen der sich immer klarer formenden Entente wurden sichtbar.
König Edward weilte wieder in Marienbad. Doch diesmal suchte er Franz Joseph nicht auf, sondern ließ ihn bloß vom Kurort aus mit einem Telegramm geziemend, aber nichtssagend grüßen. Dieses Jahr stellten sich bei ihm keine Diplomaten ein; dies, so schien es, war nicht mehr nötig. Die Umrisse eines englisch-russischen Bündnisses begannen sich bereits abzuzeichnen, ein russisches Armeekorps rückte in Persien ein. Zwei Jahre zuvor wäre dies noch ein Casus belli gewesen – nun hatte Großbritannien kein Wort dagegen einzuwenden; es geschah offenkundig alles mit seinem Wissen.
Zu gleicher Zeit, da sich auf solche Art der Ring um die Zentralmächte herausbildete, fanden in Szeged und Félegyháza Großversammlungen der Unabhängigen statt, an denen Gyula Justh über die selbständige Nationalbank Reden hielt und sich gegen die Fusion der Koalitionsparteien wandte. In Zagreb begann ein Hochverratsprozess gegen mehr als fünfzig Angeklagte, welche die Pariser Presse in Schutz nahm. In Schwechat, in der Nähe von Wien, mündete ein Erntedankfest in eine blutige Schlägerei; Tschechen und Deutschösterreicher schlugen einander die Köpfe ein.
Bálint bekam dies alles zu lesen. Seine Erbitterung wurde hierdurch noch gesteigert, aber tiefere Spuren hinterließen die Nachrichten in ihm nicht. Die Erwartung beherrschte sein ganzes Wesen. Er versuchte zu arbeiten, um die Zeit der Nichtstuerei zu überbrücken. Er setzte einen Bericht an die Landeszentrale der Genossenschaften auf, in dem er festhielt, dass die wenigen Kreditgenossenschaften, in deren Tätigkeitsbereich er die Hochgebirgsbauern einbezogen hatte, keine Wirkung hätten entfalten können. Der Grund: Die Bergbauern, denen Simó, der Kreisnotar, den Beitritt befohlen hatte, nahmen die Möglichkeit zur Aufnahme billiger Kredite nicht in Anspruch. Es lag auf der Hand, dass man ihnen andernorts verboten hatte, diese Quelle zu nutzen.
Auch dies war eine bittere Erfahrung, ein Misserfolg seines Helferwillens.
Die Augusttage in der leeren Hauptstadt vergingen langsam. Er schrieb in dieser Zeit drei Briefe an Addy. Er brachte seine Liebe, seine verlangende Sehnsucht zu Papier. Anderes erwähnte er nicht, nichts von seinem Plan. Nichts davon, dass er mit der Mutter brechen wolle, wie auch immer die Entscheidung des Arztes ausfiele. Darüber verlor er kein Wort. Erst wenn es tatsächlich so weit wäre, wollte er dieses Thema anschneiden.
So ging der Monat zu Ende, nun schrieb man schon September. Eine weitere Woche verstrich. Nach solch langen, vergeblichen Tagen traf endlich ein Brief mit Nachrichten ein. Adrienne war womöglich noch wortkarger, ihre
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