Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
kümmerten sich die Leute ebenso wenig. Über das Treffen der beiden Herrscher, von denen einer der französisch-englischen Entente angehörte, der andere aber Verbündeter der Zentralmächte war, wurde freilich eine beruhigende Erklärung veröffentlicht. »Davon, dass Italien den Dreibund verlassen sollte, ist keine Rede.«
So viel musste genügen. So viel genügte, um die paar Leute zu beruhigen, die es vielleicht befremdete, dass sich der »Zar aller Russen«, kein so reisefreudiger Herrscher wie König Edward, nach Italien begeben hatte. Dabei war eine Einigung über die Rolle, die Italien bei einer Wende des Kriegsgeschehens später spielen sollte, bereits hier erzielt worden.
Auch Abády fühlte sich nicht so betroffen wie sonst. Die Sorgen, die ihn plagten, verschleierten ihm jedes äußere Geschehen. Auch das Parlament besuchte er nicht. Ein einziges Mal ging er hin, und zwar abends um acht Uhr, weil der Leiter der Kammeradministration ihn telefonisch bestellt hatte. Es stehe denkbar schlimm, hatte er gesagt. Das Haus sei seit Mittag nicht mehr beschlussfähig, sodass man die Sitzung nicht schließen könne. Letzter Gegenstand war stets die Festlegung der Traktanden für den nächsten Tag. Zwar handelte es sich um eine reine Formalität, doch der Beschluss musste durch die Zustimmung des Hauses bestätigt werden. In der Regel kümmerte es niemanden, wie viele Gesetzgeber anwesend waren. Heute aber spielten sich die Dinge anders ab.
Das Vorspiel dazu hatte bereits am Vormittag die Debatte über die Immunität eines slowakischen Abgeordneten gebildet, in welcher einer von dessen Kollegen die Frage nach der Beschlussfähigkeit aufwarf. Man ließ nachzählen. Es reichte nicht. Justh unterbrach die Sitzung. Während einer halben Stunde wurden seine Anhänger der Reihe nach telefonisch benachrichtigt, dann ordnete Justh an, die Beratungen wiederaufzunehmen. Doch nur 59 Abgeordnete waren präsent, dabei hätten es zumindest hundert sein müssen. Jetzt tauchte ein rettender Gedanke auf. Ein junges Hausordnungstalent hatte herausgefunden, dass zwanzig Mitglieder des Parlaments befugt waren, eine geheime Abstimmung zu beantragen, und dass die gleichen zwanzig Abgeordneten den Vorsitzenden auch darum ersuchen durften, die fragliche Abstimmung auf den folgenden Tag festzulegen. »Großartig! Keine Bange, auf solche Weise haben wir die Falle vermieden!« Sie handelten also entsprechend.
Sie setzten in der Kammer die Debatte fort, denn dazu waren nur vierzig Anwesende notwendig. Dann aber kamen sie am Ende der Beratung an. Nun ging es nur noch darum, das Thema und den Tag der nächsten Sitzung festzulegen. Justh schlug den Dienstag vor. Doch kaum hatte er dies ausgesprochen, als sich schon ein junger Mann aus den Reihen der Volkspartei erhob. Er präsentierte einen Gegenvorschlag: Die Sitzung solle nicht am Dienstag, sondern am Mittwoch stattfinden. Zuvor aber, so wünschte er, möge man die Anzahl der anwesenden Abgeordneten und die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.
Nie war so etwas vorgekommen! Eine solche Frechheit! Doch Regeln hat man zu achten. Die Glocken schwirrten, die Saaldiener liefen auf und ab – vergeblich! Die Zahl der Anwesenden war nun noch niedriger: bloß 57. »Nun gut, meinetwegen«, rief man von Jusths Partei zum jungen Mann hinüber, »dann soll es eben Mittwoch sein. Nichts Schlimmeres soll uns geschehen! Mögen Sie doch recht haben.« Doch weit gefehlt! Der junge Mann wiederholte, dass das hohe Haus nichts beschließen könne ohne die Anwesenheit von zumindest hundert Abgeordneten. Sonst gebe es keinen Beschluss und keine Tagesordnung, und es werde sie auch nicht geben. Die Leute im Lager der unabhängigen Bank kamen erst da zu sich. Da ging es darum, sie zu beschämen! Nachdem sich die Koalition aufgelöst hatte, wollten diese Leute aus der Volkspartei jetzt beweisen, dass sie, die berühmte Mehrheit, für sich allein noch nicht einmal die Sitzung zu schließen vermochten. Und dies traf traurigerweise tatsächlich zu.
Es traf zu, denn ein großer Teil ihrer Fraktion befand sich in der Provinz, um dort Agitation zu betreiben; die Zahl jener, die sich in der Hauptstadt aufhielten, belief sich kaum auf sechzig. Die anderen 48-er, Kossuths Anhänger, würden sich über Jusths Blamage eher freuen, keiner dürfte ihnen zu Hilfe kommen. Die Abgeordneten der Verfassungspartei zeigten sich schon seit langem nicht mehr im Haus. Jene, die zur Volkspartei gehörten, waren wohl da, doch keiner
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