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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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betrat den Ratssaal, sie unterhielten sich alle im Parlamentskorridor, der einst als das Symbol der Macht dieser Koalition gegolten hatte. Der eine oder andere Abgeordnete schaute manchmal beim Plüschvorhang herein, dann drehte er sich um, und draußen lachten alle herzhaft. »Wir selber müssen eine Lösung finden«, stellten Jusths Anhänger untereinander fest.
    Bis fünf Uhr gelang es ihnen unter großem Aufwand, 67 Parteifreunde zu versammeln. Mehr gab es nicht. Kein weiterer fand sich, kein einziger. Alle waren da. Aus.
    Nun wurde eine doppelte Aktion in Gang gesetzt. Die einen suchten die Vertreter der Volkspartei weichzuklopfen, die anderen studierten eifrig die Hausordnung. Gyula Justh selber schritt unterdessen, vor ohnmächtigem Zorn schnaubend, zwischen dem Raum des Vorsitzenden und dem Ratssaal hin und zurück. Eine Lösung jedoch zeichnete sich nicht ab. Der junge Abgeordnete, der die Zählung verlangt hatte, machte deutlich, dass er Gleichgesinnte habe, die bereit seien, ihn abzulösen – wenn es sein müsse, für ewige Zeiten. Die Exegeten der Hausordnung wiederum zermarterten sich das Hirn vergeblich. Der geniale, am Vormittag bewährte Einfall war nun unbrauchbar, denn die Abstimmung ließ sich auch nicht unter gewundenen Ausreden bis zur nächsten Sitzung vertagen, war doch diese Sitzung im juristischen Sinn nicht nur nicht geboren, sondern noch nicht einmal konzipiert worden. Dem Vorsitzenden und seinen 67 Genossen wäre es zwar möglich, den jungen Mann zum Schweigen zu bringen und gewaltsam einen Beschluss bekanntzugeben, oder zwei von Jusths Leuten könnten den rechthaberischen Kerl am Arm ergreifen und für eine Minute hinter den Vorhang setzen. Das aber musste ihnen, die doch in ihrer ganzen Vergangenheit die Unverletzbarkeit der heiligen Hausordnung verkündet hatten, undenkbar vorkommen; so tief durften sie nicht sinken. Es gab keinen anderen Weg als den der Demütigung.
    Sich demütigen sollte man sich aber nicht vor den eigenen Parteifreunden, die sich von Kossuth führen ließen. Nein! Da sollte man schon eher mit der Verfassungspartei verhandeln, mit den Schwarzgelben, und mit Andrássy, den sie selber auf den Namen »schwarzer Graf« getauft hatten. Auch die paar 67-er-Parteilosen waren freundlich einzuladen, damit sie halfen, aus der Falle herauszukommen.
    Deshalb entsann man sich auch Abádys. Es war einige Minuten vor acht Uhr, als er eilig den Korridor entlangschritt. Er musste zwischen einigen Abgeordneten der Volkspartei hindurch, die dort ihre Zigaretten rauchten. Sie waren glänzender Laune. »Ein vortrefflicher Scherz! Der schön dicke Justh, hei, wie der sich ärgert! Und wie Holló vor Wut kocht, ha, ha! Großartig!«
    »Lauf nicht!«, rief einer von ihnen Abády nach. »Einen solchen Spaß hat es da noch nie gegeben! Wir gehen hinüber ins Buffet und bestellen Champagner! Komm mit. Einen Beschluss wird es da ohnehin nicht geben, und wenn man bis morgen Mittag wartet. Und warum soll man diesen Bankleuten beistehen?«
    Der Leiter der Quästur nahm im Ratssaal wieder eine Zählung vor. Es hatten sich, Abády inbegriffen, immer noch erst 98 Abgeordnete eingefunden. Doch nach und nach stürzte der eine oder andere Beamte in den Saal und meldete, man habe diesen und jenen gefunden, sie seien willens oder weigerten sich zu kommen. Die Zahl der Anwesenden nahm aber allmählich zu, und als der Uhrzeiger die Ziffer acht erreichte, brach große Freude aus: 104, jawohl, 104 Stimmberechtigte waren beisammen! »Alle sollen dableiben! Bitte, bleiben Sie da!«, rief der Quästurleiter und eilte hinaus. Die freudige Nachricht verbreitete sich ohnehin schnell. Justh hatte sich gleich eingefunden, und – endlich, endlich – durfte er die unselige Sitzung schließen.
    Bálint ging zu Fuß nach Hause. Er war traurig. Was den Juxbrüdern der Volkspartei so viel Vergnügen bereitet und Jusths Leute in solche Wut versetzt hatte, verstimmte ihn zutiefst. Hier also war das begeisterte, sich so patriotisch gebende Lager angelangt? Dahin hatte die Reise in dreieinhalb Jahren geführt? Dazu, dass das Parlament, als Heiligtum und Erlöser der Nation gepriesen, zum Schauplatz solch erbärmlicher Szenen werden sollte?
    Die einen hielten das Parlament für einen Ort, wo sich scherzen ließ. Andere wollten da nichts anderes erkennen als die Möglichkeit, an den Felsenriffen der Hausordnung vorbeizusegeln. Die meisten aber blieben schon ganz fern; es lohnte sich nicht, sich zu all dem leeren Geschwafel

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