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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Schrift vielleicht je in den Sinn kam, am System eine Änderung vorzunehmen. Ich habe denn auch eingesehen, dass dies das größte Hindernis sein wird, wenn ich einmal mein System vorstelle. So nahm ich also das Werk selber in Angriff. Ich weiß, dass ich noch während mehrerer Jahre arbeiten muss, aber die Sache ist es wert. Schau, hier ist bereits sehr vieles vorhanden!«
    Sie traten zu den Tabellen, die an den Wänden hingen. Es waren gewaltige Blätter, fünf bis sechs übereinander, mit endlosen Zahlenkolonnen. Aus Uzdys Mund ergoss sich nun schon eine Redeflut. Er erklärte die Zahlen: »Das hier sind historische Tabellen. Die wichtigsten Daten der Antike – die Babylonier fehlen noch –, dies sind die Griechen … das die Ägypter …« Und die vielen Blätter raschelten unter seinen schmalen Händen, wie er sie zeigte und zurückbog. »Das da ist die allgemeine Rechnungsweise, jede Zahl bis zu einer Billion! So viel vielleicht wird für die Rindviecher reichen!« Endlos ergossen sich seine Worte über Sonnenfinsternisse, Planeten, die Bahn von Kometen, über jedwede Zahlen, Zahlen und Zahlen nach dem alten und dem neuen System, er kannte sie auswendig oder fand sie nach einem Augenblick, indem er die langen Arme schwenkte und mit seinen dünnen, dürren Fingern auf sie zeigte. Er wartete nun keine Fragen mehr ab, er sprach von sich aus, machte schwer befrachtete Sätze, sein Haar türmte sich zerzaust auf dem Kopf, als trüge er Satanshörner, die Adern traten ihm auf der Stirn hervor, und aus dem großen Mund spuckte er fortwährend die sich drängenden Daten – mit fanatischer Begeisterung, freudig, glücklich.
    Lange, sehr lange dauerte dies so fort. Abády hörte zu, verwundert darüber, was alles dieser sonderbare Mann beherrschte und im Dienst seiner fixen Idee gelernt hatte. Und innerlich wurde er tieftraurig. Es begann schon zu dämmern, und Uzdy hörte mit seinen Erklärungen immer noch nicht auf. Sein Vortrag war nun verwirrter und abgehackter. Wie eine Windmühle, so fuchtelte er mit seinen Gliedern, und in dem allmählich dunklen Zimmer stampfte und streckte er sich, während er ab und zu Archimedes oder Newton mit einem Fluch bedachte, sie schmähte und sich selber pries.
    Dann sackte er mit einem Mal zusammen und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Einige Minuten saß er so unbeweglich, und schließlich wandte er sich mit einem für ihn ungewohnt milden Lächeln an Abády: »Hast du dich nicht gelangweilt? Ich habe ein bisschen viel erklärt, aber ich bin davon so erfüllt, und es tat mir so wohl, es endlich jemandem vortragen zu dürfen …«
    Und in der Tat, als sie sich endlich aus dem Haus ins Freie begaben, schien es, als überziehe Uzdys nun schon ruhige Miene die Freude der Befriedigung.

    Beim Nachtessen wurde die gleiche frostige Konversation geführt wie beim Mittagstisch. Man führte das Gespräch womöglich noch zerstreuter und stockender. Uzdy, vielleicht von seiner Aufregung am Nachmittag erschöpft, saß in sich versunken da. Adrienne wiederum verlor jetzt kein Wort. Die mehr als zwei Stunden, die Zeit, in der sie alle Qualen der Bedrückung durchlitten hatte, erfüllte sie mit tödlichem Hass gegen alles, was sie hier umgab. Natürlich hatte es ihr Erleichterung gebracht, als sie ihren Mann und Bálint erblickte, wie die beiden, in ein ruhiges Gespräch vertieft, endlich unter ihrem Fenster vorbeischritten, doch diese Erlösung kam zu spät, sie vermochte das Leid, das sie innerlich stundenlang geplagt hatte, nicht mehr auszulöschen.
    Die Sehnsucht nach Rache war in ihr aufgeflackert: Vergeltung üben dafür, dass sie so gemartert worden war. Und diese Sehnsucht stählte ihren Willen. Der Wille aber fand gleich ein Ziel, das ihm erlaubte, sich unverzüglich durchzusetzen. Uzdys Augen streiften sie nach dem Nachtessen einige Male, sein Mund verzog sich krumm auf bekannte Weise. Sie kannte dieses seltsame Aufblitzen in seinem Blick wohl, das bissige Zucken um seine Lippen. Er würde diese Nacht zu ihr kommen.

    Am späten Abend, nachdem sich jedermann mit einem Gruß zurückgezogen hatte, begleitete Uzdy seine Frau tatsächlich den Korridor entlang. Dabei legte er den Arm um ihre Schulter und wollte sie an sich drücken, doch die Frau schüttelte ihn ab. Sie langten bei der Schlafzimmertür an. Adrienne stellte sich hier ihm entgegen: »Nein! Heute nicht! Heute nicht!«
    »Was denn? Warum? Liebste Addy, was ist das für eine

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