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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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sie hoch. Trotz und Herausforderung sprachen aus ihrer ganzen Haltung. »Ja, ich begleite ihn. Um diese Zeit pflege ich ohnehin einen Spaziergang zu machen. Haben Sie vielleicht etwas dagegen einzuwenden?«
    »Oh, keineswegs! … Gehen Sie nur … freilich … freilich … Gehen Sie nur … freilich.« Sein Ton, als er dies aussprach, wurde immer schleppender, und er blieb, während die Frau und Bálint den Hügel hinaufgingen, vor dem Haus stehen. Abády blickte zurück, bevor sie im Wald verschwanden.
    Uzdy verharrte immer noch auf seinem Platz, und dem jungen Mann schien, als verzerre sich das mongolisch geschnittene Gesicht vor Wut, als öffne sich der Mund zum Gebrüll. Die dünne, hochgeschossene Gestalt, wie sie sich schwarz vor dem buttergelben Haus abzeichnete, wirkte wie ein Ausrufezeichen am Ende eines drohenden Satzes.

    »Was ist denn gestern in Uzdys Zimmer geschehen? Während so fürchterlich langer Zeit?«, fragte Adrienne, sobald sie sich im Wald befanden. »Ich hatte fortwährend eine entsetzliche Angst um dich!«
    Bálint lachte.
    »Auch ich hatte Angst, als er mich hinbestellte. Ich war mir sicher, er wolle irgendeine Rechenschaft fordern und werde dann … oder … oder gleich, sobald wir einmal drinnen wären, mit seinem Taschenbrowning an mir einen Versuch machen. Aber es kam anders. Anscheinend hat er an derartiges gar nie gedacht.«
    Auf die Frage der Frau fuhr er fort: »Er setzte mir eine schrecklich komplizierte Zahlentheorie auseinander, die er erfunden hat und an der er jetzt arbeitet. Ich könnte sie kaum schildern. Eine merkwürdige Idee, sehr gescheit, aber völlig überflüssig. Er will das heutige Zahlensystem verändern. Damit die Zehn nicht zehn Einheiten enthält, sondern zwölf …«
    »Ich verstehe nicht«, warf die Frau ein.
    »Jetzt, da ich das alles darlegen müsste, verstehe ich es auch nicht mehr. Als er es mir aber erklärte, verstand ich es einigermaßen, obwohl ich stets daran denken musste, dass dies schon an den Wahnsinn grenzt. Eigentlich war es interessant, ebenso die Einsicht, wie viel er weiß und deswegen gelernt hat. Dass er aber in eine ziel- und zwecklose Sache so viel Arbeit hineinsteckt, das … das ist nicht mehr normal.«
    »Wann war er je normal!«, unterbrach ihn Adrienne mit ihrem Ruf. »Nie, niemals!« Und sie legte den Arm um ihren Freund. Sie gelangten auf einen Hügelkamm. Die Landschaft öffnete sich rund um die kahle Anhöhe. Der Sonnenschein wirkte im Dunst schwer und zähflüssig, er schien gar nicht Licht zu sein, sondern beinahe schon ein Stoff, in dessen zitternden Wellen die fernen Bergketten versanken. Das Gefühl der Befreiung bemächtigte sich Adriennes umso gewaltiger, je weiter sie auf dem Waldweg schritten. Nach der Angst am Nachmittag zuvor war es eine Erlösung gewesen, als sie Bálint erblickte, der aus der Höhle des Löwen unversehrt zurückkehrte und in ruhiger Unterhaltung mit Uzdy daherkam, wo sie ihn doch schon als Toten vor sich gesehen hatte. Je quälender sie in den zwei Stunden alles erdenkliche Grauen durchlebt hatte, desto heftiger erhob sie jene rettende Minute. Dies gab ihr die Kraft, dem verhassten Mann, an dessen Seite sie lebte, entgegenzutreten; dies erfüllte sie auch jetzt, und gestärkt hatte sie erst noch der Sieg am vergangenen Abend. Heute fühlte sie sich zum ersten Mal beinahe frei. War sie es noch nicht ganz, so schienen doch die Tore der Hoffnung aufzugehen, um den Weg zur Freiheit zu öffnen.
    Der Staub, den sie mit ihren Füßen aufwirbelten – als wäre er weißer Wolkendampf, auf dem sie, gewichtlos, über den blauen Himmel dahinschritten, sie beide, nur sie allein. Alles in dieser Minute schien leicht, alles erreichbar, und Adrienne – wie jemand, der von den Pforten der Hölle zurückgekehrt war – glaubte nun, sie könne, sie werde der ganzen Welt trotzen. Ihr war, als seien alle Fesseln von ihr abgefallen, denn sie hatte am Abend zuvor gesiegt, und BA war von Uzdy nicht umgebracht worden! Strahlendes Licht, Triumph umfing sie, wie sie es siegestrunken und verklärt empfand.
    Sie legte jede Vorsicht ab. Sie machten an der Grenze der Forstbesitze nicht halt, sie begleitete Bálint weiter, obwohl Leute auf der Straße zum Jahrmarkt unterwegs waren; sie hätten sehen können, wie die beiden vor der großen Buche die Richtung zu Bálints Hütte einschlugen. Dort aber umfing sie wild den jungen Mann, wild und fordernd … Und viel später erst erzählte sie, was … was sich tags zuvor auf der

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