Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Ordnung und setzte sich auf den Rand. László folgte ihr unwillkürlich. Auch er setzte sich.
Das Mädchen schmiegte sich an ihn. Ihr Arm glitt hinter seine Schulter, und stumm bot sie ihm die Lippen an. Sie verschmolzen in einem langen Kuss. Die Regentropfen klopften leise im Takt auf dem Fensterblech, als wäre es ihre pulsierende Begierde. Der junge Mann schob das Mädchen nach kurzer Weile von sich, es schüttelte ihn; er erhob sich und setzte sich auf den Stuhl gegenüber, als flüchte er. Er floh vor der eigenen hochsteigenden Gier. »Das darf nicht sein«, sagte er sehr leise, »darf nicht!«
Dodó sah ihn lächelnd an. »Warum nicht? Sie wissen ja, wie sehr ich Sie liebe. Seit so langem schon und immer. Ich gehöre Ihnen. Heiraten Sie mich. Ich werde mit Freuden Ihre Frau. Und Sie sollen sehen: Wir werden glücklich sein.«
»Das ist unmöglich!«, erwiderte Gyerőffy, doch keine Überzeugung lag in seiner Stimme, sie klang eher nach Verteidigung gegen das Unerwartete.
»Warum sollte es das sein? Was steht dem im Weg? Wir sind beide frei und tun, was wir wollen. Und wenn ich Sie darum bitte, genügt das nicht?« Und in schmeichelndem Ton, ein wenig schleppend wiederholte sie: »Genügt Ihnen das nicht?«
Sie war so entzückend, Dodó, wie sie auf dem Bettrand dasaß, sich vorbeugte und dies sagte. Ihr rohseidenes Kleid betonte ihre leicht molligen Formen, die runden Brüste, den drall glatten Hals. Ihr Mund, vielleicht auch vom Kuss, war so rot, ihre schwarzen Augen strahlten so ermutigend. Lászlós erste Regung war, zu ihr zu eilen und sie an sich zu drücken. Doch war dies nur die erste Regung. Etwas hielt die kaum begonnene Bewegung auf.
Während der letzten Wochen waren mehr und mehr Prozesse über ihn hereingebrochen. Man prozessierte gegen ihn wegen seiner alten Schulden. Zweimal war es sogar zur Pfändung gekommen. Womöglich hatte man auch schon eine Versteigerung angesetzt – er verstand wenig von diesen Dingen. Ázbej wickelte alles ab, sowohl die Fristerstreckungen als auch die Abzahlungen; wie und woher er die Mittel nahm, das alles wusste László nicht, er wusste nur so viel, dass er wegen seiner Schulden von allen Seiten bedrängt wurde und dass er sich demnächst unbehaust auf der Straße wiederfinden könnte. Der Gedanke daran, das Bewusstsein, dass er ruiniert war, sie ließen ihn innehalten. Und so antwortete er in beinahe verzweifeltem Ton: »Ich … ich besitze nichts … nur Schulden habe ich … das alles gehört vielleicht gar nicht mehr mir … ein richtiger Bettler, das bin ich …«
Wäre Dodó auf diese Erklärung hin aufgesprungen, hätte sie sich an ihn geschmiegt, ihn umschlungen und gesagt: »Einerlei!« oder »Mich kümmert das nicht!«, oder hätte sie nichts gesagt, sondern ihn erneut geküsst, das Geschick der beiden hätte dann vielleicht eine andere Wendung genommen. Es gibt im Leben solche Augenblicke, in denen ein einziges Wort über das Schicksal entscheidet, das sich von da an unabänderlich vollzieht und keine Umkehr mehr kennt. Dodó aber gab nicht das Erforderliche zur Antwort, sondern zerstörte unwillkürlich alles, was sie bis dahin so zielbewusst erreicht hatte … Sie sagte: »Was macht das schon aus? Ich weiß es ja. Wir werden alles in Ordnung bringen, denn ich bin ja reich …«
Dodó konnte wegen der Helle der Fensterscheiben nicht wahrnehmen, wie sich Lászlós Gesicht verzerrte. Während der wenigen kurzen Sätze war seine ganze Vergangenheit vor ihm aufgetaucht. All das ihm Widerfahrene wurde wieder lebendig. Seine einstige Geliebte, die schöne Frau Berédy, stand neben ihm, die, ohne ihn einzuweihen, ihre Perlen im Wert eines Vermögens verpfändet hatte, um einen seiner fatalen Verluste beim Kartenspiel zu regeln; wieder spürte er die Schande, die sein Gewissen wegen dieser Schuld während Monaten bedrückt hatte; aus dieser Not befreien konnte er sich damals einzig, indem er, statt einen abermaligen Spielverlust zu regeln, die Sache des Perlenkolliers in Ordnung brachte und eher in Kauf nahm, aus dem Casino verjagt zu werden.
Und neben ihm auf der anderen Seite stand jetzt auch das Gespenst des Oberleutnants Wickwitz, er grinste über das ganze Gesicht: der Mann, den er, László, in seinem Rausch provoziert hatte, als hätte er sich selber beschimpft, denn auch der andere lebte vom Geld einer Frau. Der Offizier war degradiert worden und ins Ausland geflohen. Er, er, László, er hatte dies getan, andere und sich selber verurteilt,
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