Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Vielleicht kann man sie noch irgendwo einholen!«
Der Mann ergriff seinen Stock und lief so schnell, wie ihn die Füße trugen, geradewegs nach Sármás, das etwa zehn Kilometer entfernt lag. Die Frau ihrerseits eilte flennend bis zum Grat von Örményes, was anderthalb Meilen ausmachte, und kehrte von dort jeder Hoffnung beraubt zurück. Vor der Kirche schlug man auf dem Brett eben die Klopfzeichen zur Mittagszeit, als sie erschöpft zu Hause anlangte. Unterdessen war auch der Wächter heimgekehrt.
Die bestürzende Nachricht vom Diebstahl hatte inzwischen ihren Weg schon durch die ganze Gemeinde gemacht, und da es Sonntag war, wurden die beiden vor ihrem Haus von zahlreichen Dörflern erwartet, die gekommen waren, um Neuigkeiten zu hören und sich laut zu entsetzen.
Unerhört, in der Tat, dass heutzutage schon so etwas vorkommen kann: Nicht einmal im eigenen Stall ist das Vieh mehr in Sicherheit! Jedermann dachte an Gefahren, die ihm selber drohen könnten. Umso mehr teilten sie die Trauer des Nachtwächters. Dieser erklärte gerade zum hundertsten Mal, was er bisher alles ohne Erfolg versucht habe, während seine Frau mit einem Singsang, wie bei einer Totenfeier, gedehnt psalmodierend die Kuh beweinte: »Vai! Vai! Du arme Jámbor! Vai, wie schön, wie gut du warst! Oh, du arme Jámbor!« Die Verschwundene hieß nämlich Jámbor, die Sanfte, denn in Siebenbürgen hat das Vieh auch bei den Rumänen ungarische Namen.
Da aber rief ihnen Tschatscha von seiner Kate her aalglatt zu: »Ich weiß es zwar nicht, aber ich glaube, die Kuh ist oben im Herrenhaus.« Er war nämlich der schwarze Fleck bei der Hütte gewesen, den Adrienne und die anderen unbeachtet gelassen hatten.
Allgemeine Betretenheit. »Wie? Was sagt er? Was denn?« Der Geschädigte aber brüllte schrecklich: »Und das erzählst du mir erst jetzt, du Schurke!« Doch die Leute wunderten sich nur kurz. Dann brachen die Versammelten in schallendes Gelächter aus. Mit einem Mal sahen alle klar, dass das Ganze ein Scherz war, eine Beschämung und Bloßstellung des faulen Nachtwächters, der das Geld, das ihm das Dorf bezahlte, in seiner Tasche verschwinden ließ, die Habe der Leute aber auf solche Art behütete, dass man das Vieh selbst von seinem eigenen Grund und Boden wegführen und stehlen konnte. Und sie lachten ihn umso mehr aus, als auf dem steilen Pfad – »siehe da!« – die Kuh, vom jungen Herrn Zoltán geführt und von einem Pferdeburschen getrieben, bereits nahte.
Oben war Folgendes geschehen. Zakata, diesmal später erwacht, hatte die Geschichte von der Kuh erst einige Minuten zuvor vernommen. Unter furchtbarem Gebrüll bahnte er sich den Weg ins Esszimmer. »Ist denn mein Haus ein Quartier von Pferdedieben und Wegelagerern! Eine solche Schande auf mein armes Haupt zu laden! Mit Hehlerei, jawohl, mit Hehlerei beschmutzen sie mein in Ehren ergrautes Haupt!« Unter solchen Worten brach er ins Esszimmer ein, wo sich seine Töchter und die Gäste gerade über die jüngsten Nachrichten amüsierten: dass der Nachtwächter bis nach Sármás und seine Frau fast bis Örményes gelaufen sei. »Marsch, du niederträchtiger Räuber«, brüllte er seinen Sohn an, »bring die Kuh zur eigenen Beschämung selber zurück! Sonst zerschlage ich dir alle Knochen, Rotzjunge, du!« Und wie Zoltánka schwungvoll zur Tür lief, tat er so, als wolle er ihm mit dem Stock nachsetzen. Hernach drehte er sich um und lachte breit. »Ihr Bengel, wie habt ihr das angestellt? Wie ging das zu, meine Vögelein, erzählt mir!«
Er setzte sich unter die anderen an den Tisch, tunkte seinen Schnurrbart über einem stattlichen Butterbrot in Honig und hörte sich die Geschichte genussvoll an, nickte beim Schmatzen eifrig, und nach jedem Bissen, den er hinunterschlang, lachte er aus vollem Hals über die Einzelheiten, die man ihm von dieser und jener Seite zutrug. So fröhlich ging es bis zum Mittagessen. Einzig Mlle. Morin, die alte französische Gouvernante, saß missmutig am Tischende, und sie allein ließ sich ab und zu entsetzt vernehmen: »Oh, ces enfants! Oh, ces terribles enfants!« Sie diente zwar schon seit zwanzig Jahren im Haus, doch ihre zu Magenweh neigende Natur hatte nie vermocht, sich an die vielen übermütigen Streiche zu gewöhnen, die ihre einstigen Zöglinge vollführten.
Die Gesellschaft zerstreute sich nach dem Mittagsmahl. Zakata legte sich zur Ruhe, denn er fühlte sich sehr müde, nachdem er so viel getanzt hatte. Zoltánka und Ákos Alvinczy, Baron Gazsi
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