Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
verstand sich von selbst, denn er war ja nicht nur Bankdirektor in Vásárhely, sondern auch der Chef der Aktiengesellschaft zur Nutzung des Hochgebirgsguts der Familie Laczók und somit einer der bedeutendsten Arbeitgeber im Széklerland.
Es war jedenfalls eine prächtig aufgemachte Gesellschaft, alle steckten in Feiertagskleidern. Béla Varju erschien in einem nagelneuen schwarzen Anzug. Der alte Bartókfáy trug eine brombeerblaue kurze Jacke und enge, mit Verschnürungen reich besetzte Hosen sowie einen sackartigen Gehrock ohne Knöpfe – Letzteren hatte man in den sechziger Jahren »buda« genannt; er pflegte dieses Gewand einzig an den größten Feiertagen anzuziehen. Am prunkvollsten aber wirkte Soma Weissfeld. Er hatte sich in altungarische Gala geworfen. Den Paradeanzug hatte er sich vor einigen Jahren machen lassen, als es hieß, dass den Maros entlang ein »Kaisermanöver« stattfinden werde. Der König kam nicht, das Kleid aber war da. Weissfeld ergriff folglich jede Gelegenheit, um es anzuziehen, wenn er sich schon in solche Kosten gestürzt hatte. Die Tracht war auf seine Bestellung in Budapest bei Grünbaum und Weiner geschneidert worden. Ein richtiges Skythenkleid: die schneeweiße, geschnürte Jacke aus Seidenatlas, karmesinrote Hosen, gelbe Saffianstiefel, der Überwurf knallblau mit einem Zrinyi-Kragen und mit viel zum Zobelpelz umgemalten Hasenfell. Dazu natürlich überall nussgroße Agraffen aus vergoldetem Kupfer und ein ebensolcher Degen. So wunderbar trat der gute Soma auf. Zwar gab es Böswillige, die verlauten ließen, dass er die Kreuzung eines behaarten Affen mit einem Papagei abgeben könnte, doch er war, wenn er sich im Spiegel musterte, äußerst zufrieden. Einzig der Zwicker auf der Nase passte nicht recht zu dem urungarischen Äußeren, aber ohne diesen war seine Sicht ganz getrübt, er konnte ihn folglich nicht in die Tasche stecken.
Die Politisierenden erdrückten nun die Gruppe der Anekdotenerzähler, und der große Barra beherrschte erhaben die ganze Szene. In der Ecke, wo sich Kuthenváry und die anderen befanden, wagte man nur noch leise und verhalten zu lachen. Der Zug, mit einer Dampflokomotive an der Spitze, lief unter diesen Umständen in Tövis ein. Der Bahnhof war beflaggt, der Bahnhofsvorstand und sein Personal, alle in Paradeuniform, salutierten, als komme der König an. Dazu eine große, gaffende Menschenmenge. Auch der Gesangverein der Eisenbahner und die örtliche Zigeunerkapelle hatten sich eingestellt. Der Oberbürgermeister führte weißgekleidete kleine Mädchen an, die hübsche Verse aufsagten und einen mit Bändern schön geschmückten Blumenstrauß überreichten – wem? Natürlich Sámuel Barra und nicht dem Abgesandten des Ministers, denn der Name des »großen Széklers«, am besten bekannt, stand im Mittelpunkt aller Feierlichkeiten.
Alle stiegen aus, da nun eine längere Wartezeit bevorstand, bis der Anschlusszug von Déva her ankommen würde, und es herrschte schönes, sonniges Wetter. Barra, Bartókfáy, Varju und Kuthenváry hielten der Reihe nach Ansprachen, sie beantworteten die Begrüßungsreden. In wunderbaren Variationen erläuterten sie die Rettung der Székler Bevölkerung, und die Menge brach in häufige Hochrufe aus, obwohl Tövis nicht zum Széklerland gehört und das Publikum größtenteils aus Bahnangestellten, Reisenden und Bürgern des Städtchens bestand. Die Zigeunerkapelle brachte, wie bei einem Trinkspruch, jedes Mal einen Tusch aus.
Bálint schlenderte den Zug entlang. Vor dem letzten Wagen erblickte er eine Gruppe. Die Leute waren den Wagen dritter Klasse entstiegen und spazierten auf dem dort schon freien Gleis. Es waren sechs bis sieben rumänische Popen, einige mit langem Bart, in grauem Priestergewand oder Gehrock. Ihre Kleider wirkten ein wenig fadenscheinig – Mäntel eben, die man mit Vorteil anzieht, wenn man eine weite Reise macht. Unter ihnen gab es auch ein paar Zivilisten, auch sie grau gekleidet. Sie wechselten nur wenige Worte, schritten mit langsamem Gang und in langsamer Konversation zwischen den Eisenbahnschienen bis zur ersten Weiche und wieder zurück. Als sie sich umdrehten, erkannte Abády unter ihnen den alten Aurel Timişan. Seine Begleiter wahrten Abstand, als Timişan auf Bálint zutrat. Die beiden begrüßten einander.
»Welch schöne Feier es da heute gibt, es bereitet ja richtig Freude, das zu sehen«, sagte der Volkstribun in seinem leise spöttischen Ton. »Wohin sind die Herren
Weitere Kostenlose Bücher