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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Brief sein, den sie an Willoughby schrieb.
    Elinor schenkte ihr all die stille und unaufdringliche Aufmerksamkeit, die ihr zu Gebote stand; und sie hätte auch versucht, sie noch mehr zu trösten und zu beruhigen, hätte Marianne sie nicht mit der ganzen Ungeduld äußerst nervöser Reizbarkeit dringend gebeten, um alles in der Welt nicht zu ihr zu sprechen. Unter solchen Umständen war es für beide besser, nicht lange zusammenzubleiben. Und ihr ruheloses Gemüt hinderte Marianne nicht nur daran, nach dem Ankleiden |196| noch einen Augenblick länger im Zimmer zu bleiben, sondern verlangte sogleich nach Einsamkeit und ständigem Ortswechsel und ließ sie bis zur Frühstückszeit im Haus umherwandern und den Anblick aller meiden.
    Zum Frühstück aß sie nichts, sie versuchte es auch nicht einmal; und Elinors Bemühungen waren dann nicht darauf gerichtet, sie zu drängen, sie zu bemitleiden oder auch nur den Anschein zu erwecken, daß sie zu ihr hinsah – sondern zu versuchen, Mrs.   Jennings’ Aufmerksamkeit ganz auf sich zu lenken.
    Da dies Mrs.   Jennings’ Lieblingsmahlzeit war, dauerte sie eine beträchtliche Zeit, und sie setzten sich gerade um den gemeinsamen Handarbeitstisch, als Marianne ein Brief ausgehändigt wurde, den sie dem Diener ungestüm entriß, worauf sie totenbleich sofort aus dem Zimmer lief. Elinor, die daran ebenso deutlich, als hätte sie die Anschrift gesehen, erkannte, daß er von Willoughby kommen mußte, empfand augenblicklich eine so tiefe Niedergeschlagenheit, daß sie kaum den Kopf heben konnte; und sie wurde von einem solchen Zittern überkommen, daß sie fürchtete, es könne Mrs.   Jennings’ Aufmerksamkeit unmöglich entgehen. Diese gute Dame sah jedoch nur, daß Marianne einen Brief von Willoughby bekommen hatte, was ihr als ein sehr guter Scherz erschien, den sie entsprechend behandelte, denn sie gab mit einem Lachen der Hoffnung Ausdruck, daß er ihren Gefallen finden würde. Um von Elinors Not überhaupt etwas wahrzunehmen, war sie viel zu sehr damit beschäftigt, Enden Kammgarn für ihren Kaminvorleger abzumessen; und sobald Marianne fort war, redete sie ruhig weiter. »Auf mein Wort, ich habe noch nie in meinem Leben ein junges Mädchen gesehen, das so heftig verliebt war! Meine Mädchen waren gar nichts dagegen, und doch waren sie töricht genug; aber was Miss Marianne betrifft, so ist sie ziemlich verändert. Ich hoffe aus tiefstem Herzen, daß er sie nicht mehr viel länger warten läßt, denn es ist recht bedrückend, sie so elend und unglücklich zu sehen. Sagen Sie bitte, wann werden die beiden denn nun heiraten?«
    |197| Obgleich Elinor nie weniger geneigt war, etwas zu sagen, als in diesem Augenblick, sah sie sich genötigt, auf eine so direkte Frage zu antworten; sie versuchte deshalb zu lächeln und erwiderte: »Haben Sie sich denn wirklich eingeredet, Ma’am, daß meine Schwester mit Mr.   Willoughby verlobt ist? Ich dachte, es wäre nur ein Scherz gewesen, aber eine so ernste Frage scheint mehr zu beinhalten; und ich muß Sie deshalb bitten, sich nicht länger zu täuschen. Ich versichere Ihnen, daß mich nichts mehr überraschen würde, als wenn ich hörte, sie seien im Begriff zu heiraten.«
    »Schämen Sie sich, Miss Dashwood, schämen Sie sich! Wie können Sie so reden! Wissen wir denn nicht alle, daß es eine Heirat geben muß – daß sie vom ersten Augenblick an bis über beide Ohren ineinander verliebt waren? Habe ich sie nicht in Devonshire jeden Tag, von morgens bis abends, zusammen gesehen? Und wußte ich etwa nicht, daß Ihre Schwester vor allem mit mir in die Stadt gekommen ist, um Hochzeitskleider zu kaufen? Na, kommen Sie schon, kommen Sie, so geht das nicht. Weil Sie selbst so heimlich damit tun, glauben Sie, andere Leute haben nicht ihre fünf Sinne beisammen? Aber das ist nicht so, das kann ich Ihnen sagen, denn es ist schon lange in der ganzen Stadt bekannt. Ich erzähle es überall, und Charlotte auch.«
    »Wirklich, Ma’am«, sagte Elinor sehr ernst, »Sie irren sich. Wirklich, es ist sehr unfreundlich, diese Nachricht zu verbreiten, und Sie werden sich selbst davon überzeugen können, wenn Sie es mir auch jetzt nicht glauben wollen.«
    Mrs.   Jennings lachte wieder, aber Elinor hatte keine Energie mehr, noch etwas zu sagen; und ungeduldig, auf jeden Fall zu erfahren, was Willoughby geschrieben hatte, eilte sie fort in ihr Zimmer; dort sah sie Marianne ausgestreckt auf dem Bett liegen, fast erstickt von ihrem Schmerz, mit einem

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