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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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ausgeräumt werden mussten, entsetzlich schwere Arbeit war das. Jede Nacht lag ich weinend im Bett.
    Mein einziger Trost war mein Poesiealbum, das ich den ganzen Krieg über bei mir hatte. Das Album fängt mit fröhlichen Versen und Glanzbildern an, aus der Zeit, als das Leben noch gut war. Mein Onkel schrieb als Erster hinein, das war im Januar 1940, ein paar Tage, nachdem ich das Buch bekommen hatte. Danach folgten Onkel, Tanten, Freundinnen und Freunde, das ging so weiter bis Mitte 1942. Die Verse waren nicht besonders, die Jungen schrieben zum Beispiel: »Du meinst, ich soll dir schreiben ins Album ein Gedicht? Aber nein, das ist nicht möglich, denn dichten kann ich nicht.« Ein jüdisches Mädchen schrieb: »Die besten Dinge im Leben werden uns einfach gegeben: Sonne, Freundschaft und Zeit, Lachen, Liebe und Seligkeit.« Floskeln, die wir voneinander abschrieben, an die ich mich im Krieg aber sehr klammerte.
    Eines Tages stand ein Mann vom Widerstand vor der Tür. »Das Kind muss weg von hier, sofort, es gibt eine Razzia.« Ich hatte die Schürze noch umgebunden, als ich bei ihm hinten auf den Gepäckträger sprang. In Hillegom sagte er: »Ich habe eine Überraschung für dich.« Ich kam zu meinen Eltern, die bei der Familie ten Hoope wohnten.
    »Hört zu«, sagte Frau ten Hoope, »das Kind kann hier nicht bleiben. Ich habe nur noch Platz auf dem Dachboden, aber da sind Ratten und Mäuse.«
    »Lieber Mäuse und Ratten, als von hier wegzumüssen«, sagte ich. Das fanden meine Eltern auch, sie ließen mich nicht mehr gehen. Oben auf dem Dachboden hörte ich tatsächlich die ganze Zeit Getrippel, aber davor hatte ich keine Angst, ich war erleichtert, dass ich bleiben durfte und meine Eltern in der Nähe waren.
    Meistens hielten wir uns oben auf. Ab und zu durften wir auch nach unten. Kam unerwartet Besuch, wurden wir schnell in einen altmodischen Kellerschrank gejagt, in den drei kleine Stufen hinabführten. Da standen wir dann, dicht aneinandergepresst, bis der Besuch wieder wegging, was manchmal lange dauerte. Dort war es sehr stickig. Am seltsamsten war, dass der kleine Sohn, der noch nicht mal drei Jahre alt war, dann rief: »Onkel Co, Tante Bert, kommt nur raus!« So klein der Knirps auch war, er wusste genau, wann er den Mund halten musste und wann er uns rufen durfte.
    Schließlich mussten wir auch von dort weg. Die Familie handelte mit selbst angebautem Tabak, was streng verboten war. Jeden Moment konnte die Polizei vor der Tür stehen. Wir kamen an einer zweiten Adresse in Hillegom an, die wir Hals über Kopf gleich wieder verlassen mussten, weil der Name unseres Gastgebers im Kalender eines Mannes stand, der beim Schmuggeln erwischt worden war. Wir gerieten in Panik. Es gab keine andere Adresse. Wir hatten nicht mal falsche Ausweise, auch wenn mich alle Liesje Evers nannten und ich meinen eigenen Namen nie sagen durfte.
    Ratlos ging mein Vater einfach in das nächstbeste Hotel, erklärte dem Hotelbesitzer die Situation und bat um Unterkunft. Der Mann gab uns unter der Bedingung ein Zimmer, dass wir uns wie Hotelgäste benehmen und uns nicht dort verstecken würden. Wir aßen also ganz normal im Speisesaal.
    Das lief gut, bis sich ein SS -Mann an den Nachbartisch setzte. Vor lauter Anspannung bekamen wir kaum einen Bissen runter. Wir wagten nicht ihn anzuschauen und starrten die ganze Zeit auf unsere Teller. Nichts geschah. Er zahlte und verschwand. Ich bin immer noch stolz auf meinen Vater, dass er damals den Mut hatte, in das Hotel zu gehen.
    Nach ungefähr zehn Tagen fand der Widerstand einen neuen Unterschlupf für uns – bei Frau Wisse, einer Witwe mit zwei Töchtern, die schon zur weiterführenden Schule gingen. Von ihnen lieh ich mir ab und zu Bücher, damit ich ein wenig lesen und lernen konnte. Frau Wisse war Näherin und meine Mutter half ihr beim Säumen. Jeden Tag saß sie in Frau Wisses Nähatelier, unendlich viele Säume hat sie dort genäht.
    Abends durften wir kurz auf den Innenhof. Dort gingen wir im Kreis, um ein wenig Bewegung zu bekommen und warm zu bleiben. In der Hofmitte stand eine Tonne mit Kaninchenfutter. Alle paar Runden steckte mein Vater die Hand in die Tonne und nahm etwas Futter. »Hmmm«, sagte er, »das ist was für Feinschmecker!« Er machte ein kleines Theaterstück daraus, aber er hatte ganz einfach Hunger.
    Eines Tages, wir waren oben in unserem Zimmer, sagte mein Vater: »Hier ist ein Zettel, darauf steht eine Adresse, du musst ihn gut bewahren, halt ihn nur fest in

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