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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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der wiederum Mitglied der NSB war. In all den Jahren hat mich der Polizist ein einziges Mal angesprochen. Plötzlich stand er auf einem Fest neben mir. »Du heißt doch eigentlich gar nicht Maurice Jansen, oder?« »Wie meinen Sie das?«, fragte ich. »Ich bin Maurice Jansen, und ich bin hier zu Besuch.« Danach ließ er mich in Ruhe. Wahrscheinlich wollte er sich im Dorf nicht unbeliebt machen.
    Dennoch hielt man es für vernünftiger, mich nach der Verhaftung meines Vaters sicherheitshalber vorübergehend nach Helden-Beringe zu bringen, wo meine Schwester untergetaucht war. Bauer Theelen brachte mich auf dem Rad dorthin. Als wir losfuhren, war es noch hell. Wir radelten ewig an den Bahngleisen entlang. Gut zwanzig Kilometer saß ich bei ihm auf dem Gepäckträger. Mir war kalt, denn mit dem Einbruch der Dunkelheit war es kühl und feucht geworden.
    Um etwa neun Uhr abends kamen wir bei der Familie Simons an. Als wir reinkamen, saßen Vater und Mutter Simons im Wohnzimmer, über dem Tisch hing eine große Lampe. Herr Simons stand auf, kam auf mich zu, hob mein Kinn, schaute mich an und sagte: »Ah, ich sehe schon, du ähnelst deiner Schwester.« Meine Schwester schlief schon, sie haben sie nicht geweckt. Ich bekam ein Zimmer auf dem Dachboden, wo ich mich anschließend fast ununterbrochen aufhielt.
    In der Familie gab es acht Kinder, von denen nur die beiden ältesten wussten, dass ich dort war. Abends, wenn die anderen Kinder im Bett waren, kamen sie zusammen mit meiner Schwester zu mir auf den Dachboden. Das war der Höhepunkt des Tages, darauf freute ich mich immer.
    Nach ein paar Wochen meinte die Familie Theelen, es wäre sicher genug und ich dürfe zurück nach Grubbenvorst. Wieder abends, wieder hinten auf dem Rad, wieder an den Bahngleisen entlang.
    Tagsüber ging ich mit meinem Untertauchvater aufs Feld. Wir säten Mais und rodeten Kartoffeln. Auf dem Bauernhof fegte ich den Hof und fütterte die Ferkel. Wenn ein Ferkel gut gemästet war, wurde es geschlachtet. Das beeindruckte mich sehr: das gellende Kreischen des Tieres, bevor es geschlachtet wurde, der dicke rote Blutstrahl, der aus der Halswunde schoss und aufgefangen wurde, um anschließend Blutwurst und Panhas daraus zu machen, die üblen Gerüche, die aus den dampfenden Gedärmen stiegen – Eingeweide eines Tieres, das für mich immer tabu gewesen war, schließlich essen Juden kein Schweinefleisch.
    Ich konnte nicht zur Schule gehen, das war zu gefährlich. Darum ging ich nachmittags ans Ende des Dorfes, wo die Familie van den Bercken wohnte. Von Annie van den Bercken, einer ausgebildeten Lehrerin, bekam ich sehr guten Privatunterricht, damit ich nach dem Krieg keine Probleme hätte, in der Schule mitzukommen. Ich lernte schnell. Wenn ich mit meinen täglichen Aufgaben fertig war, durfte ich zur Schreinerei ihres Vaters. Dort lernte ich Laubsägen und Schreinern. Die Atmosphäre bei Familie van den Bercken war anders als auf dem Bauernhof, es war dort mehr wie bei uns in Amsterdam; es gab einen Bücherschrank und es wurden Themen erörtert, die bei Theelens auf dem Hof nicht besprochen wurden. Ich fühlte mich dort zu Hause.
    Da Grubbenvorst in der Nähe der deutschen Grenze liegt, bekamen wir es ab 1943 mit englischen Bombern zu tun, die auf dem Weg nach Deutschland waren. Die Deutschen versuchten die Flugzeuge abzuschießen. Frauen und Kinder gingen dann in einen Schutzkeller. Unserer war bei den Nachbarn. Die Männer aus dem Dorf saßen an solchen Abenden meist irgendwo draußen in einem Graben, um den englischen Piloten helfen zu können, wenn ein Flugzeug abstürzte.
    In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1943 flogen erneut Flugzeuge über uns hinweg. Von unserem Keller aus konnten wir alles genau verfolgen: Erst schwollen die Motorengeräusche an, und danach nahm das Dröhnen wieder ab, bis plötzlich kurz und heftig geschossen wurde, ein Motor aussetzte und es eine Weile ganz still wurde. Danach hörten wir einen hohen, heulenden Ton, gefolgt von einem so enormen Knall, dass alle Sandsäcke, mit denen die Kellerfenster verbarrikadiert waren, nach innen gedrückt wurden. Das Licht ging aus. Wir versuchten nach draußen zu klettern. Das ging nicht. Es entstand Panik, vor allem unter den Frauen; wir Kinder erschraken zwar, aber wir fanden alles eher spannend als beängstigend. Das Haus über uns war teilweise eingestürzt, Schutt blockierte die Luke zur Kellertreppe. Wir konnten nicht heraus und saßen dort fest, bis die Männer von den

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