Versteckt
weiter. Es gab nichts zu sagen – er würde ebenfalls die Dellen bemerken und sich selbst einen Reim darauf machen: Irgendjemand hatte ihr die Taschenlampe aus der Hand gerissen. Und das nicht gerade sanft.
Ich hörte, wie er sie neben sich legte, nahm meine eigene Lampe wieder auf und ging weiter.
Der Fels vor mir nahm einen helleren Ton an. Bis jetzt waren die Wände grauschwarz gewesen, aber dieser Stein schimmerte weiß. Sandstein oder so, rot gesprenkelt. Kleine rote Punkte, nicht größer als Stecknadelköpfe.
Die Punkte glänzten.
Ich legte einen Finger auf einen Punkt, und er verschwand. Er war zäh und feucht und kalt. Blut. Ich sah mich überall um.
Die Wand war fast vollständig mit Blutstropfen überzogen. Mit Caseys Blut. Mit ihrem Lebenssaft.
Nur wenige Zentimeter von meiner Hand entfernt bemerkte ich eine münzgroße Pfütze auf dem Boden.
Immerhin hatten wir jetzt eine Spur, der wir folgen konnten – wir krochen durch Caseys Blut .
Denk nicht drüber nach.
Lass es nicht an dich ran. Anders geht’s nicht. Konzentrier dich auf die Kälte, auf die Wut.
»Was denn?«
»Blut.«
»O Gott.«
»Nur ein bisschen. Nicht so schlimm.«
Das glaubte ich ja selbst nicht. Und er auch nicht.
»Wir kriegen ihn, Steven. Und dann schieb ich ihm die Mistgabel direkt in den Arsch.«
Trotzdem blieben wir vorsichtig. Langsam legten wir die drei Meter bis zur nächsten Biegung zurück, bedächtig und wachsam, kontrolliert.
Wieso hatte sie nicht geschrien? Es musste sehr schnell gegangen sein. Oder sie war aus irgendeinem anderen Grund nicht zum Schreien gekommen. Wer oder was hatte sie so unerwartet überfallen können? Ich hielt nach weiterem Blut auf den Wänden Ausschau. Zumindest hatte man ihr nicht die Kehle durchgeschnitten, dafür war es zu wenig. Nur – wieso hatten wir nichts gehört?
Casey, warum bist du nur hier reingekrochen? Hast du den Tod nicht wie ich gerochen? Wie konntest du dir, mir, uns allen das nur antun?
Nichts von dem, was du mir erzählt hast, erklärt dein Verhalten. Kein Missbrauch, keine Verführung, kein Todesfall, keine Schuldgefühle. Du hast es gewusst, zumindest geahnt. Und doch spielst du so leichtfertig mit deinem Leben? Das ergibt keinen Sinn. Nicht den geringsten. Es liegt wohl in deiner Natur, in deinem Fleisch und Blut, viel tiefer, als du es dir vorstellen kannst.
Wir lauschten gespannt, schnüffelten sogar in der Luft nach dem Fremden. Ich wusste bereits, dass er nicht im nächsten Tunnel auf uns lauern würde. Er konnte mich nicht überraschen. Diese abgründige Konfrontation, dieser Nervenkrieg hatte eine Verbindung zwischen uns geschaffen. Ich hatte ihn schon einmal gespürt und würde wissen, wenn er in der Nähe war. Und er würde wissen, dass ich gekommen war, um ihn zu töten.
Trotzdem blieb ich wachsam. Ich war nicht so dumm, auf meinen sechsten Sinn zu vertrauen – ich setzte auf Vorsicht, meinen Verstand, meine Muskeln und nicht zuletzt meine Mistgabel. Und natürlich auf Steven, meinen treuen Gefährten, der fest entschlossen an meiner Seite stand.
Pass nur auf, dachte ich.
Wir sind stocksauer, und das ist deine Schuld.
Ich versuchte, das Blut und alle Gedanken an Casey zu ignorieren. Nichts sollte mich ablenken.
Ich hielt mich für stark und gewitzt.
Als wir das Ende des Tunnels erreicht hatten, waren meine Hände völlig rot.
Und der Tunnel öffnete sich in eine Höhle.
20
Der Raum hatte einen Durchmesser von drei Metern, war annähernd kreisförmig und mindestens fünf Meter hoch. In der Mitte befand sich ein großer stiller Tümpel. Das Wasser war grau und trübe. Tropfen lösten sich von der Decke und fielen in den Tümpel – ein stetiges, pochendes Echo.
Überall lagen Knochen herum.
Hunderte, viele davon gesplittert und zerbrochen.
Es waren so viele, dass man sie gar nicht zuordnen konnte. Sie waren zu Haufen gestapelt oder auf dem Boden verstreut. Fischköpfe, Krabbenpanzer, kleine Schädel von Vögeln und größere – von Hunden? Vielleicht. Ich erinnerte mich daran, wie wir an jenem Tag vor dem Haus gestanden und sie die Hundekadaver an uns vorbeigetragen hatten. Schon möglich, dass es sich hierbei um Hundeschädel handelte.
Oder um noch größere Beute.
»Was ist das denn?«, flüsterte Steven.
»Keine Ahnung.«
Wir betraten vorsichtig den Raum. Endlich konnten wir wieder aufrecht stehen. Ein paar Schmeißfliegen begrüßten uns, und wir schlugen nach ihnen.
Ich beugte mich vor und hob einen der längeren Knochen auf.
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