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Versteckt

Versteckt

Titel: Versteckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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hatte.
    Ich dachte eine Weile darüber nach.
    »Hör mal«, sagte ich. »Ich glaube, bisher verlief der Tunnel parallel zur Küste, vielleicht sogar leicht landeinwärts. Könnte das stimmen?«
    »Kommt ungefähr hin.«
    »Dann sollten wir nach rechts gehen. Wer zum Teufel auch immer hier rumgeistert, muss Zugang zum Meer haben. Dieses Loch im Keller kann ja wohl nicht der einzige Ausgang sein. Wahrscheinlich gibt’s noch eine Höhle in den Klippen.«
    »Wo man Nahrung und Wasser sammeln kann.«
    »Genau.«
    »Dann versuchen wir es.«
    »Ich hoffe bloß, dass wir nicht auf weitere Abzweigungen stoßen. Am Ende verirren wir uns noch.«
    Die Fliegen hatten sich mittlerweile verzogen, der Gestank blieb. Als wir weitergingen, schien sich meine Vermutung zu bewahrheiten – die Luft wurde frischer, es roch nach Meer.
    Der Tunnel machte mehrere Biegungen – fünf Schritte in eine, zehn in die andere Richtung –, aber im Großen und Ganzen war ich mir sicher, dass wir uns auf die Küste zubewegten. Ich war in höchster Alarmbereitschaft, bis zum Zerreißen angespannt und hochkonzentriert. Genau wie Steven.
    Was mich schwer beeindruckte.
    So nebeneinanderzugehen gab mir ein Gefühl der Verbundenheit zwischen uns, der Stärke und Sicherheit. Seltsam. Als würden wir ein einziges Nervensystem teilen, das die Muskeln und Knochen zweier Körper gleichzeitig befehligte. Ich hatte ihn vorher kaum gekannt – jetzt kannte ich ihn.
    Nun verstand ich, wieso im Krieg so unverbrüchliche Freundschaften entstehen, warum man wie Pech und Schwefel zusammenhält und eine solche Freundschaft trotzdem um jeden Preis vermeiden will – denn es ist traumatisch, wenn sie durch eine Granate oder eine Kugel beendet wird. Ich hatte keine Angst um Steven. Ich hatte Angst um uns .
    Wir erreichten eine Biegung, blieben stehen und lauschten, die Taschenlampen auf den Boden gerichtet. Dann sprangen wir um die Ecke und rissen die Lampen hoch. Ich hob die Mistgabel, während Steven mit dem Axtgriff ausholte.
    Wahrscheinlich hatte uns Hollywood das beigebracht.
    Zumindest fühlte es sich gut an. Gut und effizient.
    Wir wiederholten das viermal. Und nichts geschah.
    Ich wartete darauf, dass ich es wieder spürte – die Präsenz des anderen, knapp außer Sicht- und Hörweite. Die Anwesenheit von etwas Großem, Gefährlichem. Diesmal war ich bereit. Ich hatte Verstärkung und eine Mistgabel mitgebracht. Ich war bereit.
    Wie sehr ich mich doch irren sollte.
    Wir erreichten die fünfte Biegung. Wir waren nahe dran.
    Der Lichtstrahl fiel in einen weiteren leeren, stillen Gang.
    Dieser Tunnel war recht kurz, höchstens sechs Schritte lang. In der Mitte angekommen, blieben wir gleichzeitig stehen. Ich weiß nicht, wieso, aber wir sahen uns unwillkürlich an. Unsere Augen glänzten wie kleine schwarze Perlen.
    Wir spürten es.
    Mein Puls wurde schneller, gehetzter. Ich weiß noch, dass Steven mich leicht anlächelte. Sein Mund verzog sich genauso wie bei seinen vielen altklugen, ironischen Bemerkungen, nur dass es diesmal etwas anderes bedeutete. Es erschien eher wie eine Begrüßung und ein Abschied zugleich.
    Ja, genau so war es.
    Und dazwischen lag unser ganzes Leben, alle Zeit, die uns verblieb.
    Ich richtete die Taschenlampe auf den Boden. Hinter den Wänden lauerten die Schatten. Ich trat hinein und richtete den Lichtstrahl vor mich.
    Und sah, was mit Casey geschehen war.

21
    Einen winzigen Augenblick lang sah ich einen großen leeren Raum mit hoher, unebener Decke.
    Große Säulen aus weichem Fels reichten vom Boden zur Decke. Sie verjüngten sich in der Mitte wie lang gezogener Kaugummi.
    Sie glänzten und tropften.
    Und da saß Casey.
    Sie lehnte etwa drei Meter von uns entfernt an einer der Säulen. Ihre blutigen Beine waren weit gespreizt, und wir befanden uns genau dazwischen. Sie blinzelte nicht, die weit aufgerissenen Augen flackerten wie Kerzen im Wind. Casey zu sehen war wie ein Schlag in die Magengrube, ein lähmender körperlicher Schock.
    Einen Moment lang drehte sich alles um mich herum.
    Er hockte neben ihr, hatte uns den großen, schwarzen, knochigen Rücken zugekehrt. Ich sah, wie sich sein Kopf hob und senkte. Sah, wie er das Rückgrat und die Schnauze bewegte, hörte das Schnappen der Zähne, als er an ihr zerrte.
    Ihre Augen starrten durch ihn – und uns – hindurch, schienen auf die Wälder jenseits des Tunnels und des Kellers und des Hauses zu blicken. Irgendwann hatte sie sich wohl das Armeehemd angezogen. Ein Ärmel war

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