Verstohlene Kuesse
eine junge Frau clever genug ist, das zu tun, dann sollte sie dieses Talent nutzen und sich einen reichen Alten angeln, der nicht mehr lange lebt. Glauben Sie mir ruhig, die Welt liegt ihr zu Füßen, sobald ihr das gelungen ist.«
Bei dem Gedanken, einen Mann zu heiraten, den sie weder lieben noch respektieren könnte, ballte Emma unweigerlich die Faust. Sie würde darum kämpfen, dass sowohl ihr als auch Daphne einmal ein besseres Schicksal beschieden war.
»Ich habe nicht die Absicht zu heiraten, Letty«, stellte sie denn auch entschieden fest.
Letty sah sie fragend an. »Liegt das daran, dass Sie Ihr Kapital bereits vergeudet haben oder daran, dass Ihnen die Vorstellung, damit an die Börse zu gehen, nicht gefällt ?«
»Falls ich meine Unschuld bereits verloren hätte, würde ich das doch sicherlich nicht zugeben und das Risiko eingehen, meine Stelle als Ihre Gesellschafterin zu verlieren.« Emma lächelte verschmitzt und Letty brach in fröhliches Gelächter aus.
»Sehr gut reagiert, meine Liebe. Dann sagt Ihnen die Vorstellung, Ihre Unschuld gegen einen Ehering einzutauschen, also nicht zu ?«
»In letzter Zeit habe ich eine Menge Pech gehabt, aber noch nicht genug, um versucht zu sein, mir einen Ehemann zu angeln«, antwortete Emma wahrheitsgemäß.
Die Londoner Zeitungen kamen am späten Vormittag. Wie die meisten Adligen auf dem Land hatte auch Basil Ware mehrere Blätter abonniert.
Inzwischen waren die meisten Gäste aus dem Schlaf erwacht, aber bisher hatte sich noch kaum einer vor seine Zimmertür gewagt, sodass Emma in der Bibliothek alleine war. Voller Ungeduld wartete sie darauf, dass die rundliche, gutmütige Mrs. Gatten endlich die Zeitungen hereinbrachte, und als sie schließlich kam, hätte sie sie ihr beinahe aus den Händen gerissen vor lauter Ungeduld.
»Danke, Mrs. Gatten.« Sie stürzte mit den Zeitungen zu einem Fensterplatz.
»Gern geschehen.« Mrs. Gatten schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der derart versessen aufs Zeitunglesen ist. Nicht, dass je irgendetwas Gutes drin stünde.«
Emma wartete ungeduldig, bis die Hausdame wieder gegangen war, riss sich die nutzlose Brille von der Nase, legte sie neben sich und sah die Blätter eilig auf Schiffsmeldungen durch.
Kein Wort über die Goldene Orchidee , das Schiff, in das sie beinahe den gesamten Erlös aus dem Verkauf des Hauses in Devon investiert hatte. Das Schiff war seit nun mehr zwei Monaten überfällig.
Vermutlich auf See verloren gegangen.
Diese schrecklichen Worte hatte Emma zum ersten Mal vor sechs Wochen unter den Schiffsmeldungen diverser Zeitungen gelesen, aber immer noch gab sie die Hoffnung nicht zur Gänze auf. Sie war sich so sicher gewesen, dass ihre Investition in die Goldene Orchidee ein cleverer Schachzug war. Nie zuvor hatte sie ein besseres Gefühl gehabt als an dem Tag, an dem sie alles, was sie besaß, auf das Schiff gesetzt hatte.
»Verdammtes Ding.« Sie warf die letzte Zeitung fort. »Das war wirklich das allerletzte Mal, dass ich mich auf meine Eingebung verlassen habe.«
Doch noch während sie das sagte, wusste sie genau, dass sie sich selbst belog. Manchmal war ihr Gefühl derart übermächtig, dass es sich beim besten Willen nicht einfach ignorieren ließ.
»Guten Tag, Miss Greyson. Miss Greyson ist doch richtig, oder nicht? Ich fürchte, ich habe Sie seit Ihrer Ankunft noch nicht allzu oft gesehen.«
Emma fuhr zusammen, als sie die Stimme ihres Gastgebers vernahm. Sie griff nach ihrer Brille, setzte sie eilig wieder auf und wandte sich dem in der Tür stehenden Herren höflich zu.
»Mr. Ware. Guten Tag, Sir. Ich habe Sie gar nicht kommen hören.«
Basil Ware war ein offengesichtiger, frischer, sportlich attraktiver Mann. Besonders gut sah er in seiner oft getragenen Reitgarderobe aus. Meistens hielt er dabei seine Gerte in der Hand, so wie andere Männer ihre Spazierstöcke. Trotz der Jahre, die er in Amerika verbracht hatte, war er mit seiner Begeisterung für Hunde und Pferde und die Jagd der typische englische Gentleman.
Letty zufolge war Basil Ware wie so viele jüngere Söhne alleine und verarmt nach Amerika gegangen, um dort sein Glück zu machen. Anfang letzten Jahres war er nach England zurückgekommen, als er erfahren hatte, dass seine Tante im Sterben lag und er ihr einziger überlebender Erbe war.
Nachdem er sein Erbe schließlich angetreten hatte, hatte Basil sich mit einer Leichtigkeit und einer charmanten Eleganz in den glitzernden Kreisen der
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