Verstohlene Kuesse
ausweichen können?«, fragte er in beiläufigem Ton.
Emma ging nicht auf seine Worte ein. »Was meine eigenen Pläne für heute Abend betrifft, Sir, so habe ich es mir anders überlegt. Ich werde doch noch nicht nach Hause fahren. Sie können dem Kutscher sagen, dass er mich auf der Soiree der Smithons absetzen soll. Wenn Ihr Gespräch im Hafen beendet ist, können Sie mich dort abholen. Ich bin schon gespannt darauf zu erfahren, was der Einohrige Harry Ihnen zu erzählen hat.«
18. Kapitel
Im Roten Dämon herrschte die rauchige, ungesunde Atmosphäre, die für Orte wie diesen typisch war. Eine trübe Ansammlung von Hafenarbeitern, Schurken, Prostituierten und anderen, die ein Leben am Rande der Gesellschaft führten, saß dicht gedrängt auf den rohen Holzbänken. Bierkrüge und die Überreste von Fleischpasteten waren auf den Tischen verteilt.
Der Einohrige Harry saß gegenüber Edison. Das, was von seinem linken Ohr geblieben war, war teilweise unter langen, fettigen Haaren und einem um den Kopf gebundenen schmierigen Tuch versteckt. Edison hatte mindestens drei verschiedene Geschichten über den Verlust von Harrys Ohr gehört. In der ersten ging es um einen Streit mit einem betrunkenen Seemann, in der zweiten um eine wütende Prostituierte, die für ihre Dienste nicht bezahlt worden war, und in der dritten um eine Diebesbande, die versucht hatte, sich eine von Harrys Ladungen geschmuggelten französischen Branntweins unter den Nagel zu reißen.
Harry betrachtete Edison als Freund, aber er war andererseits auch niemand, der seine Geschäfte durch Freundschaft beeinträchtigen ließ. Edison wusste, dass er einkalkulieren musste, dass der bauernschlaue Ganove Falschinformationen ebenso bereitwillig verkaufte wie Tatsachen. Aber Harry hatte ein gewisses Niveau. Und er und Edison kannten einander bereits seit einer halben Ewigkeit.
Außerdem, dachte Edison, konnte er es sich nicht leisten, bei der Wahl seiner Informanten allzu wählerisch zu sein. »Zum ersten Mal is' er mir aufgefall'n, weil er sich 'n bisschen bewegt wie Sie, Mr. Stokes.« Harry sah sich argwöhnisch in der rauchigen Taverne um und beugte sich dann weiter über den Tisch. »Irgendwie lautlos und geschmeidig wie 'ne Raubkatze. Total unauffällig. Einer von den Typen, die man erst bemerkt, wenn sie es woll'n. Außerdem läuft er, auch wie Sie, am liebsten in schwarzen Gewändern 'rum.«
Edison versuchte, den säuerlichen Geruch zu ignorieren, der ihm in die Nase stieg. Er war sich ziemlich sicher, dass Harry nur dann baden ging, wenn er sich hoffnungslos mit französischem Branntwein betrunken hatte und auf dem Weg nach Hause in die Themse fiel. Wobei derartige Tauchbäder nicht sehr viel nützten, da der Fluss noch schmutziger als Harry war.
»Wann ist er Ihnen zum ersten Mal aufgefallen?«, fragte Edison.
Harry setzte eine, wie er hoffte, nachdenkliche Miene auf. »Das muss so vor zwei Wochen gewesen sein. Wie Sie wissen, seh'n wir uns Fremde hier in der Gegend immer 'n bisschen genauer an. Als ich hörte, dass Sie nach jemandem auf der Suche sin', der am liebsten in schwarzen Klamotten durch die Gegend läuft, der meistens für sich is' un' der bereit is', für Informationen über Sie zu bezahlen, Sir, hab' ich sofort an ihn gedacht.«
»Beschreiben Sie mir diesen Mann«, forderte Edison ihn auf.
»Kann nich' genau sagen, wie er aussieht. Hab' ihn noch nie bei Tageslicht geseh'n.«
»Wie groß ist er?«
Harry presste die Lippen aufeinander. »Ungefähr so groß wie Sie, Sir. Aber ich würd' sagen, dass er jünger is'. Viel jünger.«
»Schwer gebaut?«
Harry hob überrascht den Kopf. »Nein, Sir. Jetz', wo Sie's erwähnen, fällt mir ein, dass er eher schlank is'. Dünn un' drahtig. Wie gesagt, bewegt sich wie eine Raubkatze.«
»Für derart vage Informationen bezahle ich nichts, Harry. Wenn Sie mir nicht sagen können, wie er aussieht oder wo ich ihn finden kann, was wollen Sie mir dann verkaufen?« Ein gieriges Glitzern trat in Harrys Augen, ehe er eilig einen Schluck aus seinem Humpen nahm, sich den Mund mit dem Ärmel seiner Jacke abwischte und sich abermals weit über den Tisch beugte. »Ich glaube, ich weiß, wo er untergekrochen is'.«
Edison hatte lange genug mit Harry Geschäfte gemacht, um zu wissen, dass er sich seine plötzliche Erregung besser nicht anmerken ließ.
»Sie können mir sagen, wo er wohnt?«
»Genau. Als ich gestern Abend zurück zu meinem Zimmer über der Fetten Meerjungfrau gegangen bin, hab' ich
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