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Verstoßen: Thriller (German Edition)

Verstoßen: Thriller (German Edition)

Titel: Verstoßen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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immer gern selbst etwas aufbauen. Ich sah es schon kommen, dass du mit achtzehn aus dem Haus gehen würdest. Und ich fing an die Tage zu zählen, weil ich wusste, dass ich dann auch wegkönnte … Mein Zusammenleben mit deinem Vater glich damals eher einem Waffenstillstand als einer Ehe.« Jeanny seufzte tief. »Versprich mir, dass du nicht sofort wütend wirst, sondern mich ausreden lässt, ja?«
    Susan nickte. Jetzt kam es. Der Grund, den ihre Mutter damals gehabt hatte. Die Antwort auf die Frage, die sie seit zwanzig Jahren beschäftigte.
    »Eines Abends brachte Geran jemanden mit nach Hause, der schon öfter bei uns gewesen war. Einen Mann aus Chemnitz. Mitte zwanzig. Er war mir früher schon aufgefallen. Aber mehr auch nicht. Im Nachhinein denke ich, dass ich wahrscheinlich einfach verzweifelt war. Dein Vater und ich …« Jeanny kratzte sich nervös am Ohr. »Sagen wir, ich vermisste etwas. Wir hatten schon ewig … ich meine …«
    »Verstehe«, sagte Susan rasch.
    »Carl Ecke hieß er. Er sah außergewöhnlich gut aus. Wundervolle Augen. Schönes langes, dunkles Haar. Wie er mich ansah … ich kam mir zum ersten Mal seit Langem wieder vor wie eine Frau, nicht nur wie eine Mutter oder ein Heimchen am Herd. Und ich merkte, dass die Anziehung auf Gegenseitigkeit beruhte. Ich erspare dir die Details, jedenfalls sollte er eines Abends mit Geran, Walter und Roger zusammen in der Stadt etwas trinken gehen. Im letzten Augenblick sagte er, er fühle sich nicht wohl, und zog sich ins Atelier zurück. Die anderen wollten trotzdem los, ohne ihn. Ich habe gewartet, bis sie außer Hörweite waren. Bin zur Treppe gelaufen und habe gehorcht, ob ihr beiden, Sabine und du, schon eingeschlafen wart. Dann bin ich ins Atelier gegangen.«
    Susan stand der Mund offen. Wollte ihre Mutter jetzt ernsthaft von einem One-Night-Stand erzählen? Im Atelier ihres Vaters, wohlgemerkt?
    Jeanny blickte nach draußen. »Das Problem war, dass ich sie nicht hörte, als sie nach Hause kamen. Plötzlich standen sie zu dritt im Türrahmen. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Geran stürzte sich auf Carl und schlug ihn halb tot. Walter und Roger gingen dazwischen, und Carl machte sich aus dem Staub. Ich wollte ins Haus flüchten, aber dein Vater kam mir nach und brachte mich in den Wintergarten. Es war das reinste Tribunal. Roger saß regungslos in dem Stuhl in der Ecke und rauchte eine Zigarre, Walter stand mit blassem Gesicht daneben, dein Vater wütete und zeterte. Als er sich gerade ein bisschen zu beruhigen schien, kam plötzlich Carl von der Veranda hereingestürmt. Er fuchtelte mit einem Revolver in der Hand herum und wollte Geran erschießen. Er sah furchterregend aus, dein Vater hatte ihm wirklich eine gehörige Abreibung verpasst. Jetzt wollte er Blut sehen. Sie schrien alle durcheinander, und ich geriet in Panik. Ich … ich wollte ihn nicht …« Jeanny rieb sich mit den Händen übers Gesicht und unterbrach sich kurz.
»Diese Katzenplastik, die dein Vater zu unserer Hochzeit für mich gemacht hat, kannst du dich an die erinnern? Ich hätte immer gern eine Katze gehabt, aber ich bin allergisch, also hat er eine aus Granit für mich gemacht.«
    Susan erinnerte sich. Erst in der vergangenen Woche hatte sie die Plastik in den Händen gehalten. Sie war nicht in den Container gewandert, sondern lag nun in Zeitungspapier eingewickelt in einem Karton im Keller.
    »Sie befand sich neben mir auf dem Schrank«, fuhr Jeanny fort. »Carl stand mit dem Rücken zu mir, zwischen mir und deinem Vater. Er wollte ihn erschießen. Ich geriet in Panik.«
    Ihr Blick wurde glasig, und sie fasste sich an die Schläfe, als würde sie den Moment in Gedanken erneut durchleben. »Er blutete nicht einmal«, sagte sie leise. »Wie angewurzelt standen wir da. Keiner sagte einen Ton. Schließlich sagte Walter, wir müssen das melden. Aber Roger sagte, das geht nicht. Er meinte, wenn bekannt wird, dass im Hause Staal ein Stasi-Funktionär ermordet worden ist, überleben wir alle den Herbst nicht. Wir waren nicht die einzigen Leute in den Niederlanden, die Stasi-Spitzel bei sich einquartiert hatten. Es hätte uns den Kopf gekostet. Buchstäblich. Auch für euch war es gefährlich. Die ganze Situation war grauenerregend. Stundenlang haben wir zusammengesessen, gebrainstormt, wild durcheinanderdiskutiert. Ich hatte Carls Körper mit einem Bettlaken zugedeckt, weil ich fürchtete, dass ihr beide von dem ganzen Tohuwabohu wach werden, nach unten kommen und ihn dort

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