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Verstoßen: Thriller (German Edition)

Verstoßen: Thriller (German Edition)

Titel: Verstoßen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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sondern das ihres Vaters. Dessen Körper würde morgen früh für immer verschwinden, in einem auf achthundert Grad Celsius vorgeheizten Ofen des örtlichen Krematoriums.
    »Nett hier«, flüsterte Reno.
    »Ja, gemütlich, nicht wahr?«
    An der Wand neben der Treppe hingen gestickte Wandbilder im Laura-Ashley-Stil: Kinder auf einem Schaukelpferd, ein Mädchen mit Ringellöckchen auf einer Schaukel. Diese Stickereien gehörten zu den wenigen Dingen, die noch von ihrer Mutter stammten. Nach Jeannys Verschwinden hatte Geran
Staal alles weggeworfen, was an sie erinnerte. Susans Mutter hatte diese Bilder selbst in Handarbeit angefertigt. Wahrscheinlich hatte ihr Vater sie übersehen.
    Wie er so vieles übersehen hatte.
    Oben war es noch dunkler als unten. Der Flur hatte keine Fenster. Das obere Stockwerk lag auf Holzbalken auf, sodass beim Gehen auch hier der Boden unter ihren Füßen federte. Sie tastete die Wand nach dem Lichtschalter ab. Er funktionierte nicht.
    Sie öffnete eine der Türen und trat ein. Die Decke des Schlafzimmers ihrer Eltern war fast dreieinhalb Meter hoch, und das Sonnenlicht wurde durch alte braunscheckige Gardinen gefiltert.
    Wie lange war sie hier nicht mehr gewesen? Seit Jahren.
    Leere und Vergänglichkeit waren allgegenwärtig in diesem Haus. Wie hatte ihr Vater es hier um Himmels willen ausgehalten? Wie unglaublich bitter musste es gewesen sein, allmorgendlich in einem Haus aufzuwachen, das so voller Erinnerungen war? In dem die Abwesenheit derer, die es einst mit Leben gefüllt hatten, noch viel schmerzhafter sein musste, als sie sich überhaupt vorstellen konnte?
    Sie bekam fast Schuldgefühle, weil sie den Besuch bei ihrem Vater immer wieder hinausgezögert hatte. Ihn so gut wie nie angerufen hatte. Ihn all die Zeit in seinem eigenen Saft hatte schmoren lassen. Ihn mehr oder weniger behandelt hatte, als wäre er schon tot.
    Er war aber selbst schuld, Susan, schoss es ihr durch den Kopf. Er hat alle anderen davongejagt. Quäl dich nicht so.
    Sie räumte die Schränke aus, und auf dem Bett stapelten sich nach und nach immer mehr Kleidungsstücke. Das ganze Haus sollte so schnell wie möglich leer werden. Reno riss einen Müllsack von der Rolle, die er mit nach oben genommen hatte, und fing an, die Klamotten hineinzustopfen.
    Schweigend arbeiteten sie sich von einem Zimmer ins nächste vor. Reno lief mehrmals nach unten und warf die Säcke in den Flur, der sich allmählich füllte. Was wirklich nichts mehr wert war, landete im Abfallcontainer. Alte Kleiderbügel, dreißig Jahre alte Rasierseife, ein geborstener Spiegel, psychedelisch gemusterte Tagesdecken. Es nahm kein Ende mit all dem Krempel, der zehn Jahre lang einen festen Ort und Zweck gehabt hatte, und der jetzt im Container verschwand.
    In einem der Erdgeschossräume befand sich ein Bücherregal mit lauter alten Büchern. Reno streifte mit den Fingerspitzen über ihre Rücken. »Puh, eine ganze Menge Lesestoff.«
    Susan reagierte nicht.
    »Schau doch mal, das ist ja eine richtige Bibliothek.«
    »Die sind … waren von meinem Vater«, sagte sie.
    »Was machst du damit?«
    »Wegwerfen.«
    »Ist das nicht schade drum?«
    »Außer ihm hat da nie jemand reingeschaut. Ich wüsste nicht, was ich damit anfangen sollte.«
    Reno nahm einen dicken Wälzer aus dem Regal und klopfte den Staub ab. »Hier, von Karl May, ist das nicht der mit den Cowboybüchern?«
    »Das ist Karl Marx.« Sie zog einen leeren Bananenkarton zu sich heran und fing an, die Bücher hineinzustapeln. »Marx, der Vater des Kommunismus.«
    »Oh. War dein Vater Kommunist?«
    »Mit Leib und Seele.«
    Gegen elf klopfte es an der Haustür. Susan eilte nach unten. Die Tür klemmte, sie musste ziemlich daran zerren. In der Auffahrt stand ein apfelgrüner Möbeltransporter, und vor ihr auf den Treppenstufen warteten zwei Männer mittleren Alters, deren T-Shirts mit der Aufschrift ZWEITE CHANCE dieselbe Farbe hatten wie der kleine Frachtwagen.
    Zu viert schleppten sie erst die Kleidersäcke nach draußen, dann die Betten, die auseinandergenommenen Kleiderschränke, die Nachttischchen, die Lampen, die Sitzgruppe. Die Möbelstücke verschwanden eines nach dem anderen in dem geräumigen Frachtwagen, wo sie fachmännisch mit Schnüren und Spannseilen fixiert und mit Decken vor Stoßbeschädigungen geschützt wurden. Die Männer pfiffen fröhlich und ausgelassen vor sich hin, machten Witze. Je mehr Betriebsamkeit sich ausbreitete, desto mehr schien die Traurigkeit zu verfliegen, die auf

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