Verstoßen: Thriller (German Edition)
schaute nach draußen. »Was für ein Schlamassel.«
»Denk dir jetzt endlich eine runde Geschichte aus, Nielsen.
Im Lügengeschichtenerfinden bist du ja offenbar sehr talentiert. Ich habe dir das Skelett präsentiert. Jetzt sorg gefälligst dafür, dass ein bisschen Fleisch auf die Knochen kommt.«
Maier kaute grimmig auf dem Sportlife-Kaugummi herum. Er schmachtete nach Nikotin. Thomas lag immer noch im Tiefschlaf. Wütend riss er das Zellophan seiner letzten Camel-Packung auf und steckte sich eine Zigarette an. Sven wagte anscheinend keine Einwände zu erheben. Als das Nikotin allmählich in seine Blutbahn gelangte, spürte Maier, wie es in seinen Adern zu prickeln anfing und die Haut sich zusammenzog. Wie sich ein Gefühl von Leichtigkeit in seinem Kopf ausbreitete.
Wie er sich allmählich beruhigte.
»Wo bist du mit Valerie verabredet?«, fragte er, nachdem die anfängliche Benommenheit verflogen war.
»Im Mercure-Hotel in Den Bosch.«
»Okay. Du kannst selbst nicht fahren, also bringe ich dich hin. Ich warte dann draußen. Und morgen früh fahre ich zu Susan. Wann ich zurückkomme, weiß ich noch nicht, aber versprich mir bitte eins …«
Ganz kurz sah er Sven direkt ins Gesicht. »Wenn ich aus Wales zurückkomme, will ich kein Sonderkommando als Empfangskomitee. «
»Sil«, sagte Sven bedächtig, »ich … ich weiß, warum du das denkst. Ich bin selbst dran schuld. Vielleicht glaubst du mir nicht, wenn ich sage, dass ich nie im Leben deinen Namen nennen würde, aber das macht nichts. Du wirst es schon sehen. Was du für mich getan hast, hätte niemand sonst für mich getan. Niemand. Dass ich zum Dank jetzt mein Maul halte, ist doch wohl selbstverständlich.«
Unwillkürlich musste Maier an jene nunmehr zehn Monate zurückliegende Nacht denken, in der Sven ihn operiert hatte. »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Maier. »Was ich getan habe, war also das Mindeste. Jetzt sind wir quitt.«
»Das kann man nicht vergleichen. Du hast dein Leben aufs Spiel gesetzt, um Thomas zu retten. Um dich zu operieren, brauchte ich mich bloß über mein Berufsethos hinwegzusetzen. « Sven rang sich ein säuerliches Lächeln ab. »Und auf das gab ich ja ohnehin nicht viel. Zugegeben, ich habe eine Menge Lügen erzählt, aber ich werde dich nicht anzeigen. Niemals.«
Maier schluckte die sarkastische Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, herunter. »Ich glaub’s dir«, sagte er bloß.
40
Die in antikem Kiefernholz gehaltene Küche war klein und hatte eine niedrige Decke mit hölzernen Tragbalken und gelb gestrichenen, verputzten Wänden. Eine stimmungsvolle Umgebung, in der man sich gleich willkommen fühlte – ganz anders als in der grün gefliesten Dreißigerjahre-Küche, in der Susan ihre Mutter wohl zum letzten Mal gesehen hatte.
Susan sah ihre Mutter an. Die wich ihrem Blick aus. Es gab in ganz Europa wahrscheinlich keine hundert Personen, die einander so viel zu erzählen gehabt hätten wie diese beiden. Zu erklären. Zu erläutern.
Jeanny hatte bislang nur wenig preisgegeben. Susan hatte erzählt, dass Geran gestorben war, und Jeanny hatte das abgetan mit: »Dein Vater war ein Hitzkopf. Ein Wunder, dass er nicht schon früher gesundheitliche Probleme bekommen hat.«
Viel mehr hatte sie nicht gesagt. Allmählich wurde das Schweigen peinlich. Susan putzte sich mit einem Papiertaschentuch die Nase.
»Warum bist du weggegangen?«, fragte sie nun schon zum dritten Mal. Sie gab sich große Mühe, es nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen. Es gelang ihr nicht so recht.
»Das ist eine schwierige Sache.«
»Schwierig?« Susan sprang auf. »Ich habe meine ganze verdammte Jugend über geglaubt, du wärest tot! Heute Nacht erst habe ich erfahren, dass du noch lebst, und zwar von einem Kerl, der uns früher ständig die Bude eingerannt hat, sich aber plötzlich nicht mehr hat blicken lassen, nachdem du weg warst. Ein
fremder Typ weiß, wo du wohnst! Und ausgerechnet du wagst es, mir zu sagen …« Ihr Blick traf die Frau, die ihr auf einem Küchenstuhl reglos gegenübersaß. Sich plötzlich ihrer Raserei bewusst werdend, verstummte Susan. »Entschuldige«, lenkte sie ein. »Entschuldige, so meinte ich es nicht.« Sie setzte sich wieder.
»Doch«, sagte Jeanny. »Du meintest es ganz genau so, und ich kann es dir nicht verdenken. Du hast das Temperament deines Vaters.«
»Danke für das tolle Kompliment.«
Jeanny wischte sich die Tränen aus den Augen. »Sorry. Ich kann so was einfach nicht gut.«
Susan
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