Verstoßen: Thriller (German Edition)
Schiffsglocke aus Kupfer mit einem Seil. Sie schwang es kurz hin und her, so sinnlos es auch scheinen mochte, nachdem der Hund sie bereits mehr als deutlich angekündigt hatte. Die tiefe Glocke trieb den Wachhund
erst recht in den Wahnsinn. Sein Gebell schien sich vor Wut zu überschlagen. Ängstlich schaute Susan zu dem Zaun hinüber. Normalerweise hatte sie keine Angst vor Hunden, aber dieser machte sie doch nervös.
»Quiet!« Die Frauenstimme kam von der Rückseite des Hauses her.
Der Hund hörte zu bellen auf, legte die Ohren an und lief schwanzwedelnd weg. Im nächsten Augenblick war er nicht mehr zu sehen.
Susan trat an den Zaun und legte die Hände auf die von den Hundepfoten ganz dreckige Kante. Zehn Meter weiter, auf einem Stück Wiese, rieb der Collie seinen geschmeidigen Leib an den Beinen einer Frau.
»I’m so sorry«, rief diese ihr entschuldigend zu. »But it’s his job.«
Susan stand dort wie festgenagelt.
Die Frau war kleiner als sie. Schlank. Halblanges braunes Haar, von grauen Strähnen durchzogen und hinten mit einem Gummi zusammengebunden. Ein ovales Gesicht mit Lachfalten. Dunkle, freundliche Augen mit dünnen Brauen und einer geraden Nase.
Lächelnd kam sie näher und entschuldigte sich immer weiter für den Hund, der ein naughty boy sei, was eher wie eine Ermutigung klang als wie eine Ermahnung, und schien ohnehin nicht an Susan gerichtet zu sein. Der Hund wedelte mit dem Schwanz und jaulte, während er seinem Frauchen unruhig um die Beine strich.
Die Frau stand nun auf der anderen Seite des Zauns. Erst jetzt sah sie Susan ins Gesicht.
Ihre braunen Augen begegneten Susans und leuchteten für einen Moment auf. Wurden dann ganz groß. Ihr Kopf wich ein Stück zurück, als bräuchte sie mehr Abstand, um den Blick scharf zu stellen. Dann schlug sie die Hand vor den Mund.
39
Maier fuhr Svens roten Kangoo konstant mit gemächlichen hundertzehn Stundenkilometern. Ein kurzer Blick auf seine Mitreisenden zeigte ihm, dass Thomas sich auf dem Beifahrersitz an seinen Vater gekuschelt hatte und eingeschlafen war. Die kleinen Füße mit den Schnürschuhen baumelten vor dem Sitz in der Luft.
»Vielleicht ist es ganz gut, wenn ihr beide erst mal in dem Wohnwagen bei Valerie bleibt.«
Sven warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Meinst du?«
»Ich schätze mal, dass die wiederkommen und versuchen werden, sich an dir schadlos zu halten.«
Sven verzog das Gesicht. »Valerie und ich zusammen auf einem Wohnwagenplatz. Interessanter Gedanke. Die schießt mich doch ab.«
Maier grinste. Drückte aus einem Blister einen Kaugummi heraus und hielt ihn Sven hin.
Der schüttelte den Kopf und starrte mit ernster Miene geradeaus. »Wenn sie erfährt, dass Thomas in Sicherheit ist, stehen die Chancen, dass sie Walter doch noch in die Sache einweiht, hundert zu eins. Schließlich hat sie dann keinen Anlass mehr, damit hinter dem Berg zu halten.«
»Auch nicht, wenn du dadurch in Schwierigkeiten gerätst?«
Sven seufzte tief. »Valerie hasst mich. Jetzt erst recht. Dass sie auf mich hören würde, kann ich mir echt abschminken.«
Maier sagte nichts. Es war kein unrealistisches Bild, das der Tierarzt da entwarf. Valerie würde sich wahrscheinlich heulend
in die Arme ihres neuen Lovers werfen und alles ausplappern, was sie wusste. Wobei ihr Exmann sicher nicht besonders gut wegkommen würde.
»Denk dir eine Geschichte aus«, sagte Maier. »Das kannst du doch gut. Was wir beide im Kopf haben, du und ich, was wir erlebt und getan haben, lässt du beiseite. Wisch es einfach weg. Stattdessen gehst du von Valeries Wissensstand aus, betrachtest die Dinge aus ihrer Perspektive. Das wird dein Ausgangspunkt, sozusagen das Skelett deiner fiktiven Erinnerung. Versuch dir alle Details dieser neuen Wahrheit zu vergegenwärtigen: Ort, Zeit, alles. Präg dir alle Einzelheiten genau ein, und halte eisern daran fest. Dann kommst du da vielleicht halbwegs ungeschoren raus.«
»Meinst du?«
»Niemand kann in deinen Kopf hineingucken. Auch ein Kripobeamter nicht, falls du mit einem zu tun bekommst.«
Er würde ganz bestimmt mit einem zu tun bekommen. Umso wichtiger war es, dass er gut vorbereitet war. Es ging Maier dabei nicht nur um Sven. Schließlich hatte er bislang alles getan, um nicht selbst ins Schussfeld zu geraten. Sie waren mit Svens Wagen nach Frankreich gefahren. Maier hatte sich weder beim Autoverleih noch sonst wo auf dem Flughafen blicken lassen. An keinem entscheidenden Ort waren sie gemeinsam vor
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