Versuchung in blond
glauben. Dieser Kerl liebte seine Arbeit bei der Polizei fast ebenso wie Charlie.”
Sam wischte gedankenverloren einen Wassertropfen von ihrem Glas. Sie hatte kein
Recht, in Jakes Leben einzudringen. Aber irgendwie hatten sich ihre Lebenswege innerhalb von zwei Tagen ineinander verschlungen. Jake bedeutete ihr etwas. Und seine Vergangenheit war ein Teil von ihm.
„Er hat mir erzählt, er hätte damals keine Lust mehr gehabt”, sagte Sam behutsam.
Sherrys Lächeln wich einem wehmütigen Ausdruck. „Das glaube ich nicht. Ich glaube, er konnte mit Charlies Tod nicht leben. Er hat sich entsetzliche Vorwürfe gemacht.” Sherry machte eine Kopfbewegung in Richtung Fenster. „Er schleppt eine Menge Schuldgefühle mit sich herum. Aber es ist eine eingebildete Schuld. Ich kenne Jake. Er hätte nie etwas getan, um Charlie oder sich selbst unnötig einer Gefahr auszusetzen.”
Sam nickte. Das entsprach genau dem Bild, das sie von Jake hatte. „Haben Sie ihm das gesagt?”
Sherry klopfte den Löffel am Topfrand ab, bevor sie Sam anschaute. „Nicht nur einmal.
Aber er wollte nicht zuhören. Dann musste Em wegen der Knochenmarktransplantation in die Klinik, und ich hatte nicht mehr die Energie, mich um Jake zu kümmern.” Sie ging zur Verandatür und öffnete sie. „He, ihr beiden, das Essen ist gleich fertig.”
12. KAPITEL
Irgendetwas war da zwischen den beiden Frauen. Jake hatte es schon in dem Moment
gespürt, in dem er das Haus betreten hatte. Sherry und Sam erinnerten ihn an seine Mom und Annie, die Geheimnisse miteinander geteilt und die Männer außen vor gelassen hatten.
„Lasst uns erst essen. Dann reden wir”, sagte Sherry zu ihm, als er sich setzte.
Fletcher saß da und machte Männchen, und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er auf die Reste hoffte. „Nach deinem kleinen Auftritt vorhin finde ich eigentlich, dass du dir draußen dein Essen selbst jagen solltest”, sagte Jake streng.
Emily kicherte und lockte den Hund mit einem Stück Brot zu sich herüber. „Wie ein
Jagdhund sieht er nicht gerade aus.”
Das Essen erinnerte Jake ebenfalls an seine Kindheit. Emily sorgte dafür, dass ihnen der Gesprächsstoff nicht ausging, und unterhielt sie mit Geschichten über Freud und Leid von Siebtklässlern. Jake musste lächeln. Oh, noch einmal zwölf sein.
Während Sam Emily beim Abräumen half, wandte er sich an Sherry. „Sie ist etwas
Besonderes, Sher.”
Sherry nickte mit einem wehmütigen, gedankenverlorenen Ausdruck in den Augen. „Ich
wünschte, ihr Vater könnte sie jetzt sehen. Ich wünschte, er wüsste, wie gut sie sich macht.”
Jake kämpfte zum zweiten Mal an diesem Tag mit den Tränen. „Charlie weiß es.”
Nach dem Abräumen ließ Sam sich von Emily breitschlagen, sich deren Zimmer
anzuschauen. „Wenn du nicht in einer Stunde zurück’ bist, schicken wir ein Suchkommando los”, rief Jake Sam hinterher.
Emily bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Hör sofort auf, Onkel Jake!”
Sherry grinste. „Ja, Jake, du übertreibst es wirklich ein bisschen. Zwei Stunden musst du ihnen mindestens geben.”
„Komm, Emily”, sagte Sam mit gespielter Entrüstung. „Das müssen wir uns nicht länger anhören.”
Als Sam ihm ein Lächeln zuwarf, bevor sie Emily folgte, gab es Jake einen Stich. Sherry beobachtete ihn mit dem wissenden Blick aller Mütter. „Was ist?” fragte Jake.
„Ich frage mich nur, in was für einem Schlamassel du steckst, wenn du nach all dieser Zeit plötzlich ganz überraschend bei mir auftauchst.”
Jake spreizte die Hand auf der Tischdecke und spürte die glatte Kiefernholzplatte
darunter. Charlie hatte die Tische und Stühle selbst geschreinert. Jetzt stand sein Werkzeug unbenutzt in Annies Garage herum. Sie hatte es nicht übers Herz gebracht, irgendetwas davon wegzugeben.
Jake schüttelte den Kopf, als sich die Vergangenheit wie eine schwere Decke über ihn legte. Charlie hätte jetzt hier sein und sich mit ihnen freuen müssen. Charlie hätte nicht sterben dürfen.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Sherry. Du hast Recht. Ich wäre nicht hier, wenn es nicht schlimm wäre.”
„Wie schlimm, Jake?”
In ihrer weichen Stimme hallte die Vergangenheit nach. Dieselben Worte hatte sie
damals in der Notaufnahme des Krankenhauses zu ihm gesagt. Charlie hatte ein Zimmer weiter gelegen, und die Ärzte hatten nichts mehr für ihn tun können. Damals wie heute konnte Jake die Wahrheit nicht beschönigen.
„Sehr Schlimm.” Er
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