Verteidigung
Tage Ferien. Als sie sich acht Tage nachdem Richter Seawright den ersten Verhandlungstermin festgelegt hatte, versammelten, waren neben dem sechsköpfigen Prozessausschuss dreißig Prozessanwälte vertreten, von denen jeder Tausende von Krayoxx-Fällen mitbrachte. So unbedeutende Geschöpfe wie Wally Figg wussten noch nicht einmal von der Besprechung.
Breitschultrige junge Männer in dunklen Anzügen bewachten die Tür zum Konferenzzimmer und kontrollierten die Ausweise. Nach einem kurzen Frühstück begrüßte Nicholas Walker die Anwesenden am ersten Morgen, als wären alle Handelsvertreter derselben Firma. Er machte sogar einen Witz und erntete ein paar Lacher, aber die Spannung direkt unter der Oberfläche war spürbar. Ein Geldregen stand unmittelbar bevor, und die Anwälte im Raum waren alte Haudegen, die keinen Konflikt scheuten.
Bis dato gab es elfhundert Todesfälle. Besser gesagt, elfhundert Fälle, in denen die Hinterbliebenen Krayoxx für den Tod verantwortlich machten. Der medizinische Nachweis war keineswegs überzeugend erbracht, aber die Fakten würden einem Geschworenengericht zumindest zu denken geben. Nicholas Walker und Judy Beck sprachen die grundlegende Frage der Haftung wie geplant gar nicht an. Wie die Meute auf der anderen Seite des Tisches schienen sie davon auszugehen, dass das Medikament für elfhundert Todesfälle und Tausende andere, weniger schwere Fälle verantwortlich war.
Nachdem die Formalitäten erledigt waren, eröffnete Walker die Gespräche mit der Erklärung, Varrick wolle den Wert der einzelnen Todesfälle beziffern. Sobald darüber Einigung erzielt sei, könne man sich mit den anderen Fällen befassen.
Wally hatte mit seiner geliebten DeeAnna, die im Bikini einfach umwerfend aussah, ein Ferienhäuschen eine Straße vom Lake Michigan entfernt gemietet und gerade einen Teller Nudelsalat gegessen, als sein Handy klingelte. Er sah die Nummer und griff hektisch nach dem Gerät. »Jerry, was gibt’s?«
DeeAnna, die sich oben ohne neben ihm im Liegestuhl sonnte, spitzte die Ohren. Sie wusste, dass ein Anruf von Alisandros aufregende Neuigkeiten bringen konnte.
Alisandros erklärte, er sei nach zwei Tagen in New York wieder in Florida, habe bei einem geheimen Treffen mit Varrick auf den Busch geklopft, eine harte Nuss, nur die Todesfälle, Sie verstehen, aber trotzdem echte Fortschritte, kein Deal, kein Handschlag und schon gar nichts Schriftliches, sieht aber trotzdem so aus, als wäre jeder Todesfall um die zwei Millionen wert.
Wally gab aufmunternde Laute von sich, während er immer wieder DeeAnna zulächelte, die dichter an ihn herangerückt war. »Das klingt ja erfreulich, Jerry, gute Arbeit. Wir sprechen uns nächste Woche.«
»Was ist?«, gurrte sie, nachdem er aufgelegt hatte.
»Eigentlich gar nichts. Nur ein Update von Alisandros. Varrick hat jede Menge Anträge gestellt, die soll ich mir ansehen.«
»Kein Vergleich?«
»Nein.«
Sie konnte von gar nichts anderem mehr reden. Das war seine eigene Schuld, weil er den Mund nicht hatte halten können, aber sie war von dem Vergleich wie besessen. Sie hatte nicht einmal genug Verstand, um das zu überspielen. Nein, sie wollte jede Einzelheit wissen.
Sie wollte Geld, und das bereitete Wally Sorgen. Er arbeitete bereits an einer Rückzugsstrategie, nach der Methode seines neuen Vorbilds Oscar. Weg mit den Frauen, bevor das Geld kam.
Sechzehn Millionen Dollar. Davon würden siebzehn Prozent in die Kassen von Finley & Figg fließen, insgesamt 2,7 Millionen Dollar, von denen Wally fünfzig Prozent zustanden. Er war Millionär.
Er kletterte auf eine Luftmatratze und ließ sich mit geschlossenen Augen durch den Pool treiben. Es fiel ihm schwer, ein Grinsen zu unterdrücken. Bald war DeeAnna an seiner Seite, driftete, immer noch oben ohne, im Wasser und berührte ihn von Zeit zu Zeit, um sich zu vergewissern, dass er sie noch brauchte. Sie waren mittlerweile seit Monaten zusammen, und allmählich fing Wally an, sich zu langweilen. Es fiel ihm nicht mehr so leicht, ihrem ständigen Hunger nach Sex gerecht zu werden. Immerhin war er sechsundvierzig, zehn Jahre älter als DeeAnna, wobei ihr tatsächliches Geburtsdatum flexibel war. Auf Tag und Monat hatten sie sich geeinigt, aber das Jahr verschob sich immer weiter nach hinten. Er war müde und brauchte eine Pause, außerdem beunruhigte ihn ihr Interesse an seinem Krayoxx- Honorar.
Es war in seinem eigenen Interesse, sie jetzt loszuwerden, die Trennungsroutine durchzuspielen,
Weitere Kostenlose Bücher