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Verteidigung

Verteidigung

Titel: Verteidigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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gesehen hatte. Die Krawatte war weg. Das Hemd war voller Flecken. Das rechte Hosenbein zeigte einen kleinen Riss. An den Sohlen der neuen schwarzen Schuhe klebte getrockneter Lehm. David tippte ihm auf die Schulter und rief seinen Namen. Nichts. Wallys Gesicht war rot und aufgedunsen, aber David konnte keine blauen Flecke, Platzwunden oder Abschürfungen entdecken. Vielleicht hatte er sich zumindest nicht geprügelt. David hätte gern gewusst, wo er gewesen war, aber andererseits war es wohl besser, wenn er es nicht erfuhr. Wally war in Sicherheit. Fragen konnte er später stellen, zum Beispiel, wie er in die Kanzlei gekommen war. Wallys Auto war nirgends zu sehen, was eine gewisse Erleichterung darstellte. Zumindest war Wally schlau genug gewesen, sich nicht hinters Steuer zu setzen. Andererseits war das Auto vielleicht auch zu Schrott gefahren, gestohlen oder von der Leasingfirma beschlagnahmt worden.
    David boxte Wally gegen den Bizeps und brüllte ihm ins Ohr. Der schwere Atem stockte einen Augenblick und setzte dann wieder ein. AJ winselte, also ließ David ihn nach draußen und setzte eine Kanne Kaffee auf. Dann schickte er Helen eine SMS: »Blau wie ein Veilchen, aber er lebt. Keine Ahnung, was jetzt passiert.« Er rief Rochelle an und informierte sie. Sein Anruf bei Oscar landete auf der Mailbox.
    Eine Stunde später hatte Wally sich so weit erholt, dass er eine Tasse Kaffee trinken konnte. »Danke, vielen Dank«, sagte er immer wieder. »Haben Sie Lisa angerufen?«
    »Wer bitte ist Lisa?«
    »Meine Frau. Die müssen Sie unbedingt anrufen, David. Oscar, dieser Mistkerl, redet nicht mehr mit mir.«
    David beschloss mitzuspielen, mal sehen, wohin das führte. »Ich habe Lisa angerufen.«
    »Haben Sie? Was sagt sie?«
    »Sie sagt, Sie beide sind seit Jahren geschieden.«
    »Sieht ihr ähnlich.« Wally starrte mit glasigem Blick auf seine Füße, unfähig oder unwillig, Blickkontakt aufzunehmen.
    »Sie sagt, sie liebt sie trotzdem noch«, behauptete David nur zum Spaß.
    Wally fing an zu weinen, grundlos, wie es Betrunkene eben tun. David fühlte sich ein wenig schäbig, hatte aber seinen Spaß.
    »Tut mir leid.« Wally wischte sich mit dem Unterarm das Gesicht ab. »Tut mir echt leid, David. Oscar spricht nämlich nicht mehr mit mir. Sitzt in meiner Wohnung, frisst meinen Kühlschrank leer. Als ich nach Hause kam, war die Tür abgeschlossen und die Kette vorgelegt. Wir hatten einen Riesenkrach, bis die Nachbarn die Polizei gerufen haben. Bin gerade noch rechtzeitig weg. Jetzt kann ich nicht mal mehr in meine eigene Wohnung, das ist doch wirklich das Letzte.«
    »Wann war das denn?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht vor einer Stunde. Irgendwie habe ich im Moment keinen Überblick. Danke, David.«
    »Gern geschehen. Hören Sie, Wally, wir machen jetzt einen Plan. Klingt, als könnten Sie nicht in Ihre Wohnung. Wenn Sie heute Nacht hier schlafen und sich ausnüchtern wollen, hole ich mir einen Sessel und leiste Ihnen Gesellschaft. Zusammen mit AJ stehen wir das schon durch.«
    »Ich brauche Hilfe. Nüchtern werden allein reicht nicht.«
    »Verstehe, aber nüchtern werden wäre schon einmal ein gewaltiger Fortschritt.«
    Plötzlich prustete Wally laut heraus. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte so laut wie nach menschlichem Ermessen überhaupt möglich. Es schüttelte ihn, er quiekte, wand sich, hustete, rang nach Luft, rieb sich die Wangen, und als er nicht mehr lachen konnte, setzte er sich auf und kicherte mehrere Minuten vor sich hin. Kaum hatte er sich halbwegs beruhigt, sah er David an und prustete sofort wieder los.
    »Darf man mitlachen?«
    »Ich musste nur daran denken, als Sie das erste Mal hier waren«, sagte Wally, um Fassung ringend.
    »Ich erinnere mich dunkel.«
    »So besoffen habe ich noch keinen gesehen. Den ganzen Tag in der Bar gesessen, was?«
    »Stimmt.«
    »Sturzbetrunken, und dann wollten Sie sich diesen Blödmann Gholston von der anderen Straßenseite vorknöpfen, hätten ihn fast verprügelt.«
    »So hat man mir’s erzählt.«
    »Oscar und ich, wir haben uns angesehen und wussten sofort, dass Sie was draufhaben.« Eine Pause, während Wally seinen Gedanken nachhing. »Sie haben sich zweimal übergeben. Und jetzt haben wir die Rollen getauscht.«
    »Sie müssen nüchtern werden, Wally.«
    Wally schüttelte es nicht mehr. Er schwieg für eine ganze Weile. »Fragen Sie sich je, worauf Sie sich eingelassen haben, David? Sie hatten alles, eine große Kanzlei, ein dickes Gehalt, ein Anwaltsleben

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