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Verteidigung

Verteidigung

Titel: Verteidigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Honorar berechnet hatte; drittens Wally vorher bereits zweimal wegen »unlauterer Mandantenwerbung« von der Anwaltskammer abgemahnt worden war, weil er die Verletzten von Verkehrsunfällen allzu aggressiv bedrängt hatte, wozu auch ein offenbar ziemlich unangenehmer Vorfall zählte, bei dem Wally in OP-Kleidung in das Krankenzimmer eines schwer verletzten Teenagers eingedrungen war, der eine Stunde später gestorben war; viertens mindestens vier ehemalige Mandanten die Kanzlei wegen Verletzung der Anwaltspflichten verklagt hatten, allerdings war unklar, ob einer von ihnen Schadenersatz erhalten hatte; und fünftens die Kanzlei namentlich in einem vernichtenden Artikel erwähnt wurde, der von einem Professor für Rechtsethik verfasst worden war und anwaltliche Werbung an den Pranger stellte. Und das alles in der Zeit, in der er gefrühstückt hatte.
    Helen war entsetzt gewesen, doch David sah das Ganze zynisch und hatte argumentiert, dass dieses fragwürdige Verhalten bei Weitem nicht an das der ehrenwerten Anwälte von Rogan Rothberg heranreiche, die bei der Ausübung ihres Berufs über Leichen gingen. Er brauchte nur den Fall Strick River zu erwähnen, schon hatte er die Diskussion gewonnen. Der Strick River in Wisconsin war von einem berüchtigten Chemieunternehmen, das zu Rogan Rothbergs Mandanten zählte, verseucht worden. Nach jahrzehntelangen Rechtsstreitigkeiten und geschickten juristischen Schachzügen wurden die giftigen Substanzen dort nach wie vor eingeleitet.
    Wally wühlte in seinem Aktenkoffer herum.
    Die Skyline Chicagos kam in Sicht, und David starrte die hohen, majestätisch wirkenden Gebäude im Stadtzentrum an. Der Trust Tower stand genau in der Mitte. »Da wäre ich jetzt gerade«, sagte er leise, fast zu sich selbst.
    Wally hob den Kopf, und als er die Skyline sah, war ihm klar, was David gerade dachte. »Welcher?«
    »Trust Tower.«
    »Ich habe mal einen Sommer lang im Sears Tower gearbeitet, als Aushilfe, nach dem zweiten Jahr meines Jurastudiums. Martin & Wheeler. Und ich dachte, das wäre das, was ich wollte.«
    »Was ist passiert?«
    »Ich habe die Anwaltsprüfung nicht geschafft.«
    David fugte das der immer länger werdenden Liste mit Wallys Schwächen hinzu.
    »Sie werden es nicht vermissen, oder?«, fragte Wally.
    »Nein, ich breche schon in Schweiß aus, wenn ich das Gebäude nur sehe. Noch näher möchte ich ihm nicht kommen.«
    »Biegen Sie auf der Washington nach links ab. Wir sind gleich da.«
     
    Im Richard J. Daley Center gingen sie durch die Sicherheitsscanner und nahmen den Fahrstuhl in den fünfzehnten Stock. Es wimmelte nur so von Anwälten und Prozessparteien, Angestellten und Polizisten, die entweder geschäftig hin und her eilten oder in kleinen Grüppchen zusammenstanden und sich unterhielten. Gerechtigkeit drohte, und alle schienen sie zu fürchten.
    David hatte keine Ahnung, wo es hinging oder was er tun sollte, daher hielt er sich dicht bei Wally, der sich hier wie zu Hause zu fühlen schien. David hatte seinen Aktenkoffer dabei, der jedoch lediglich einen Notizblock enthielt. Sie liefen an einem Gerichtssaal nach dem anderen vorbei.
    »Und Sie sind tatsächlich noch nie in einem Gerichtssaal gewesen?«, fragte Wally, während das Klacken ihrer Schuhe auf dem abgenutzten Marmorfußboden durch die Gänge hallte.
    »Nicht seit dem Studium.«
    »Unglaublich. Was haben Sie eigentlich in den letzten fünf Jahren gemacht?«
    »Das wollen Sie nicht wissen.«
    »Ja, das glaube ich auch. Da sind wir«, sagte Wally und zeigte auf eine schwere Doppeltür. Auf einem Schild stand: »Bezirksgericht Cook County – Abteilung für Scheidungssachen, Richter Charles Bradbury«.
    »Wer ist Bradbury?«, fragte David.
    »Sie werden ihn gleich kennenlernen.«
    David öffnete die Tür, und sie traten ein. Auf den Bänken saßen einige Zuschauer. Die Anwälte hatten ganz vorn Platz genommen, sie wirkten gelangweilt und warteten. Der Zeugenstuhl war leer; es war gerade keine Verhandlung im Gange. Richter Bradbury sah ein Dokument durch und ließ sich viel Zeit damit. David und Wally setzten sich in die zweite Reihe. Wally sah sich im Gerichtssaal um, entdeckte seine Mandantin, lächelte und nickte.
    Er flüsterte David zu: »Das hier nennt man einen Tag der offenen Tür, im Gegensatz zu einem Verhandlungstag. An solchen Tagen kann man sich Anträge bewilligen und Routinesachen genehmigen lassen, diesen ganzen Mist eben. Die Dame in dem kurzen gelben Kleid da drüben ist unsere Mandantin

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