Verteidigung
anzeigen, oder warum fragen Sie?«
»Nein, ich bin nur neugierig. Hat Oscar auch immer eine Waffe dabei?«
»Ich glaube nicht, aber er hat eine in der Schreibtischschublade. Oscar ist mal in seinem Büro überfallen worden, von einem Mandanten in einem Scheidungsfall. Eine ganz einfache einvernehmliche Scheidung, es wurde nichts angefochten, aber Oscar hat es irgendwie geschafft, den Fall zu verlieren.«
»Wie verliert man bei einer einvernehmlichen Scheidung?«
»Ich weiß es nicht, aber fragen Sie Oscar bitte nicht danach, ja? Ist immer noch ein heikles Thema. Jedenfalls lief das Ganze darauf hinaus, dass die Scheidung noch einmal beantragt werden musste, was natürlich hieß, dass das gesamte Verfahren wiederholt werden musste, und dafür hat er dann eine ordentliche Tracht Prügel kassiert.«
»Er sieht aus, als könnte er ganz gut selbst auf sich aufpassen. Der Kerl muss wirklich ein ganz übler Typ gewesen sein.«
»Wer sagt, dass es ein Mann war?«
»Es war eine Frau?«
»Allerdings. Eine sehr große und sehr wütende Frau, aber eindeutig eine Frau. Sie hat ihn als Erstes mit ihrem Kaffeebecher – aus Porzellan, nicht aus Papier – zwischen den Augen getroffen und damit kampfunfähig gemacht. Dann hat sie sich seinen Schirm gegriffen und angefangen, auf ihn einzuschlagen. Er musste mit vierzehn Stichen genäht werden. Sie hieß Vallie Pennebaker. Den Namen werde ich im Leben nicht mehr vergessen.«
»Wer hat ihn gerettet?«
»Irgendwann kam Rochelle ins Büro – Oscar schwört, dass sie sich viel Zeit gelassen hat – und hat Vallie von ihm heruntergezogen. Dann rief sie die Polizei, die Vallie weggebracht hat. Es wurde Anklage wegen schwerer Körperverletzung erhoben. Vallie hielt mit einer Klage wegen Verletzung der Anwaltspflichten dagegen. Es hat zwei Jahre gedauert und etwa fünftausend Dollar gekostet, bis das Ganze aus der Welt war. Seitdem hat Oscar eine Waffe im Schreibtisch.«
Was würden wohl meine ehemaligen Kollegen bei Rogan Rothberg denken?, fragte sich David. Anwälte, die mit einer Waffe herumliefen. Anwälte, die behaupteten, FBI-Beamte zu sein, und in die Luft ballerten. Anwälte, die von unzufriedenen Mandantinnen zusammengeschlagen wurden.
Um ein Haar hätte er Wally gefragt, ob er auch schon einmal von einem Mandanten verprügelt worden sei, doch er biss sich auf die Zunge. Er konnte sich die Antwort denken.
12
Um 16.30 Uhr waren sie wieder im sicheren Schoß der Kanzlei. Der Drucker lief immer noch auf Hochtouren. Rochelle stand am Tisch und sortierte diverse Papierstapel. »Was haben Sie mit DeeAnna Nuxhall gemacht?«, keifte sie Wally an.
»Sagen wir mal so: Ihre Scheidung verzögert sich ein wenig, bis sie eine Möglichkeit findet, um ihren Anwalt zu bezahlen. Warum?«
»Sie hat jetzt schon dreimal angerufen und jedes Mal wie ein Schlosshund geheult. Sie wollte wissen, wann Sie wieder da sind. Sie will unbedingt mit Ihnen reden.«
»Gut. Das bedeutet, sie hat das Geld.«
Wally überflog einen der Briefe aus einem der Papierstapel auf dem Tisch. Er zog einen zweiten Brief heraus und gab ihn David, der zu lesen begann. Der erste Satz sprang ihm ins Auge: »Warnung vor Krayoxx!«
»Fangen wir mit Unterschreiben an«, sagte Wally. »Die Briefe müssen unbedingt heute raus. Die Zeit drängt.«
Die Briefe waren auf dem Firmenpapier von Finley & Figg ausgedruckt und wurden von Wallis T. Figg, Rechtsanwalt, verschickt. Unter der Schlussfloskel »Mit freundlichen Grüßen« war lediglich Platz für eine Unterschrift. »Und was soll ich tun?«, fragte David.
»Fangen Sie an, mit meinem Namen zu unterzeichnen.«
»Wie bitte?«
»Fangen Sie an, mit meinem Namen zu unterzeichnen. Oder glauben Sie, dass ich dreitausend Briefe allein unterschreibe?«
»Dann soll ich also Ihre Unterschrift fälschen?«
»Nein, sollen Sie nicht. Ich erteile Ihnen hiermit die Vollmacht, diese Briefe mit meinem Namen zu unterschreiben«, sagte Wally übertrieben langsam, als spräche er mit einem Idioten. Dann sah er Rochelle an. »Sie auch.«
»Ich habe schon hundert unterschrieben«, erwiderte sie, während sie David einen der Briefe gab. »Sehen Sie sich die Unterschrift an. Das könnte ein Erstklässler besser.« Sie hatte recht. Wallys Unterschrift war ein dahingeworfenes Gekrakel, das mit einem verschlungenen Schnörkel begann, der vermutlich ein W sein sollte, und dann in einen scharfen Haken für das T oder das F überging. David nahm sich einen der Briefe, die Wally gerade
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