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Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Titel: Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Jötten
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Ärzte tun so, als ob niemand mehr als ein Gläschen trinkt. Diese Heuchelei verhindert, dass man sich wirklich darüber informieren kann, welche Mengen gesundheitsschädlich sind.
    Es ist unmöglich, mit Ärzten ehrlich über Alkohol zu sprechen. Man kann sie fragen, ob sich Aspirin mit Bier verträgt oder ob eine Wunde schlechter verheilt, wenn man Wein trinkt – die Antwort lautet regelmäßig: «Gegen ein Gläschen Wein oder eine Flasche Bier am Abend ist sicherlich nichts einzuwenden.»
    Die reinste Heuchelei – denn bei wem bleibt es schon dabei, wenn gefeiert wird? Ich kenne niemanden, besonders keinen Mediziner! Und wer an Silvester nur ein Gläschen trinkt, befindet sich in diesem Land definitiv in der Minderheit.
    Leider gibt es in der Arztpraxis nur die Unterscheidung: Du trinkst ein Gläschen (das soll manchen Studien zufolge ja sogar gesund sein) – oder du bist Alkoholiker (das ist sehr ungesund, klar). Aber was ist mit den vielen Leuten, die nicht in dieses Schwarz-Weiß-Schema passen? Sie trinken an einem Abend vielleicht drei Bier, dann zwei Tage nichts, dann zwei Gläser Wein, einen Tag nichts – und dann ist Wochenende oder Silvester, und es wird gefeiert, und zwar richtig.
    Es wäre für all die Normaltrinker doch wichtig zu erfahren, ob das ungesund ist – und wenn ja, ab welcher Menge Alkohol. Wenn wirklich klar wäre, dass man durch diese Art von Alkoholkonsum zum Beispiel sein Krebsrisiko stark erhöht, dann würden viele Menschen, auch ich, viel weniger trinken.
    Beim Arzt bringt man das leider nicht in Erfahrung. Er erzählt seinen Satz vom Gläschen, man nickt als Patient verlegen und sagt nichts mehr – man will ja nicht als Alkoholiker gelten. Ich bin mir sicher: Die Ärzte haben Angst. Sie denken wohl, sobald sie sagen, dass zwei Gläser Wein in Ordnung seien, fängt der Patient hemmungslos zu saufen an. Sicherheitshalber gehen sie aber ohnehin davon aus, dass ihre Patienten genau das tun.
    Ich bin durch einen glücklichen Zufall in den Mediziner-Alkohol-Code eingeweiht worden. Sagt ein Patient: «Ich trinke selten», heißt das für den Mediziner: Ich trinke jeden Tag zwei Flaschen Bier oder ein Glas Wein. «Manchmal ein Gläschen» bedeutet: täglich mehrere Biere und/oder Schnaps beziehungsweise eine Flasche Wein. «Gelegentlich ein bisschen Melissengeist» heißt: bei jeder Gelegenheit Schnaps. «Das ein oder andere Gläschen» kann man übersetzen mit: jeden Tag dauerdicht.
    Die Chance zur ehrlichen Alkohol-Aussprache mit einem Arzt kam bei mir zufällig. Ich war wegen eines Zuckens beim Arzt, das mal am Oberarm, mal am Auge, mal am Bein zu spüren war. Ich wusste: Bei der Muskelkontraktion sind Mineralien wie Kalzium und Magnesium wichtig. Da ich sehr viel Wasser trinke, etwa vier Liter am Tag, vermutete ich, dass dadurch Elektrolyte ausgeschwemmt werden könnten und dies wiederum die Muskelfunktion stören könnte. Am Ende stellte sich das als Irrtum heraus. Jedenfalls begann ich das Gespräch so: «Ich trinke extrem viel – könnte das der Grund für die Zuckungen sein?»
    Der Arzt, der bis dahin stoisch auf seinen Anamnesebogen geschaut hatte, warf seinen Kopf nach oben und starrte mich an wie ein seltsames Tier – erst jetzt ging mir auf, dass er wohl vermutete, den ersten Patienten vor sich zu haben, der ehrlich zu seinem monströsen Alkoholkonsum stand. «Wie viel?», fragte er. Ich wollte ihn nicht enttäuschen, außerdem sah ich meine Chance, endlich ein ehrliches Statement dazu zu bekommen, ob mein Alkoholkonsum gesundheitsschädlich ist.
    Also sagte ich die Wahrheit. «Unter der Woche trinke ich meistens nichts oder mal ein Glas Wein oder Bier, aber Samstagnacht können schon mal fünf Gläser Gin Tonic zusammenkommen.» Der Arzt nickte, ließ den Kopf wieder sinken und wirkte keineswegs beunruhigt. «Damit kann das Zucken nicht zusammenhängen», brummte er. «Trotzdem sollten Sie Ihren Alkoholkonsum im Auge behalten.» Was auch immer das heißen sollte, ich interpretierte es als «weiter so».
    Inzwischen habe ich Professor Johannes Kornhuber, Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität Erlangen, gefragt, ob durch Alkohol Gehirnzellen zerstört werden. Er sagt: «Nein, aber bei schwerem Alkoholmissbrauch können sie schrumpfen.» Ich habe Hans-Christian Schuppe, Androloge und Professor am Universitätsklinikum Gießen, gefragt, ob Alkohol die Spermien schädigt. Er sagt: «Nur bei schwerem Alkoholmissbrauch.» Leider fehlt noch die Absolution für

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