Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)
erhielten, wiesen sie aber darauf hin, dass der Placeboeffekt wissenschaftlich nachgewiesen sei. Danach ging es diesen Patienten etwas besser als der Kontrollgruppe.
Fazit: Auch das sogenannte ehrliche Placebo kann wirken. Wer braucht da noch Bachblüten-Pillen (Gemüt), Heiße Sieben (Migräne) und Orgonstrahler (Anregung der Vitalität), die eine Wirkung versprechen, aber keine besitzen? Moment – eine haben sie erwiesenermaßen doch: Sie wirken sehr effektiv gegen monetäre Überliquidität.
Jens Lubbadeh
JENS LUBBADEH
Kahlkopf für immer
Von nichts kommt nichts. Das sieht die Haarwasser-Industrie natürlich anders. Ein Selbstversuch.
Ich glaube an die Kraft der evidenzbasierten Medizin, aber auch ich habe meine schwachen Momente.
Regaine
ist eines dieser Haarwuchs-Wässerchen, die blühende Landschaften auf dem Kopf des reiferen Mannes versprechen. Zwar ließ der Wirkstoff Minoxidil in wissenschaftlichen Studien verlorene Haare nur mau wieder sprießen. Die Hoffnung stirbt aber nicht so schnell wie die Haarwurzel, weswegen die Industrie damit kräftig Kasse macht: Eine Packung mit drei Fläschchen geht für stolze 60 Euro über die Ladentheke. Kleinere Größen gibt es nicht. Warum auch, abzocken lässt man sich für gewöhnlich nur einmal. Und das muss sich dann doch auch lohnen.
Um 60 Euro ärmer stand ich also in einer sehr unnatürlichen Position vor dem Badezimmerspiegel – in der einen Hand das Spray, in der anderen einen Handspiegel, um die kahle Stelle genau zu lokalisieren. In meinem Kopf ratterte die Kasse: Jeder Sprüher kostete bestimmt so viel wie ein Weizenbier. Jetzt ja nicht danebenschießen – bei all den Spiegelungen ein nicht zu unterschätzender Koordinationsaufwand für das Gehirn. Ob die ewigen Silberhaarschöpfe Jopi Heesters und Helmut Schmidt wohl auch Ähnliches veranstaltet hatten?
Das erste Fläschchen war noch nicht mal halb leer, da war ich schon überzeugt, mit
Regaine
nur meine Zeit zu verschwenden. Ich fühlte mich genauso betrogen wie die Ex- DDR : keine blühenden Landschaften, nirgends. Noch nicht mal ein Placeboeffekt. Was nun? 40 Euro einfach in den Ausguss schütten? Niemals. Sollte doch ein anderer kahler Tropf sein Glück damit versuchen.
Ich stellte die Fläschchen für 40 Euro zum Verkauf ins Internet – mit dem Hinweis, dass es sich um eine angebrochene Packung handelte. Es dauerte keine 20 Minuten, dann waren sie verkauft. Aber der Käufer hatte nicht genau hingeguckt. Nach ein paar Tagen kam eine wütende E-Mail, dass eines der Fläschchen nicht voll sei, die Packung angebrochen und ich ihm bitte sofort das Geld zurückzahlen solle. Falls nicht, wolle er mich darauf hinweisen, dass er in einer Woche in Hamburg sei und sich nicht scheuen werde, seiner «Forderung persönlich Nachdruck zu verleihen».
Manchmal kann man sich gegen Klischees einfach nicht wehren. Dabei ist es nicht so, dass der kahle Mann testosteronschwerer als seine kopfbehaarten Kollegen ist. Vielleicht macht diese Männer auch erst der Frust über den Haarverlust aggressiv. Das letzte Mal waren mir in der 12 . Klasse Schläge angedroht worden, damals hatten wir andere Probleme als vermeintlichen Haarwuchsmittelbetrug. Bestimmt sind all diese aggressiven Typen von einst heute mit Glatzen abgestraft. Ich schrieb dem Aggressor, dass er vergessen hatte, das Kleingedruckte zu lesen. Eine Antwort kam nicht mehr. Sieben Tage lang ging ich mit einem mulmigen Gefühl vor die Haustür.
Die Anti-Haarausfall-Industrie hat sich ihre Zielgruppe genau ausgesucht: Wäre Haarausfall ein Frauenproblem, ich bin überzeugt, es gäbe ein riesiges Arsenal an esoterisch angehauchten Mittelchen und Therapien. «Bachblüten-Mistel-Salbe für die Kopfhaut ab 40 », «Testen Sie die natürliche Kraft der Patchouli, und aktivieren Sie so die inneren Selbstheilungskräfte der Kopfhaut», «Probieren Sie rein pflanzliche Hyaluron-Kieselsäure-Gel-Tabs – sie verstärken die natürlichen Schwingungen der Haarwurzeln. Jetzt mit PQ -Formel.»
Auf Werbeanzeigen, die lächelnde Männer mit vollen Haarschöpfen über saftiges, grünes und natürlich dicht gewachsenes Gras hüpfen lassen, warten wir indes vergeblich. Denn bei uns Männern dringen solche Bilder voller Natürlichkeit nicht mal haarwurzeltief zu unserem Pragmatismus vor. Schon gar nicht bei den testosterongesättigten Kollegen. Für sie muss etwas Hartes in den Mittelchen drin sein, Koffein zum Beispiel. Ein Wunder, dass noch keiner auf die Idee gekommen
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