Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)
wäre. Das kann unnötig stressen. Ein Programm, bei dem Achtsamkeit geübt wird, ist die «Mindfulness-Based Stress Reduction», abgekürzt MBSR oder auf Deutsch «Stressbewältigung durch Achtsamkeit». Es kommt ohne viel esoterisch-spirituelles Beiwerk aus und besteht aus acht Abendsitzungen und einem Meditationstag.
JENS LUBBADEH
Das Spray, die Nase und ich
Fliegen die Pollen, hänge ich am Fläschchen. Gibt es einen Weg aus der Nasenspray-Abhängigkeit?
Pfscht. Aaaah.
Nein, ich habe mir kein Bier aufgemacht. Das war mein Nasenspray. Manche Menschen haben Probleme mit Alkohol. Andere mit Zigaretten. Mein Laster heißt Xylometazolin. Das klingt nach Designerdroge, vielleicht ist sie das auch, aber sie lässt mich weder 24 Stunden durchtanzen noch meine Seele mit der von Jesus Christus, Mahatma Gandhi und Steve Jobs gleichzeitig verschmelzen – Xylometazolin macht einfach nur die Nase frei. Und zwar pronto. Im Sommer, wenn die Pollen fliegen, ist es jedenfalls meine Rettung.
Ich bekenne: Ich bin abhängig von dieser Nasendroge. Und ich bin nicht allein. Laut Statistik gibt es in Deutschland rund 100 000 Xyloholiker, wie immer ist die Dunkelziffer viel größer. Das ist wenig verwunderlich, denn Schnupfensprays sind Bestseller. 23 Millionen Fläschchen eines bekannten Herstellers wurden 2009 in Deutschland verkauft. Das reichte für Platz 1 auf der Liste der umsatzstärksten, rezeptfrei erhältlichen Präparate.
Xylo ist ähnlich wie Heroin. Am Anfang macht es noch Spaß. Aber ganz schnell geht es nicht mehr ohne. Das Zeug befreit, aber nur für ein paar Stunden. Dann schwillt die Nase wieder zu. Und zwar heftiger als zuvor – der typische Rebound-Effekt. Ich kann Ihnen versichern: Eine Nacht mit einer Nase, die sich anfühlt wie die von Rocky Balboa nach einem Fight gegen Apollo Creed, ist kein Vergnügen. Also sprüht man wieder und wieder und wieder – und denkt, dass man ja jederzeit aufhören könnte. Kann man aber nicht.
Die Zeche zahlt die Schleimhaut: Sie wird trocken und rissig. In der Populärpresse liest man gar von Lochbildung und nachlassender Geruchsfähigkeit. Das Zeug ist also nicht ohne. Trotzdem findet man in Deutschland keine Apotheke, die nicht mindestens 150 verschiedene Nasensprays fein säuberlich aufgereiht direkt gegenüber dem Verkaufstresen aufstellt. Greift man dann zu, rattert der Apotheker den Spruch runter, den ich schon viel zu oft gehört habe: «Bitte nicht öfter als dreimal täglich und länger als eine Woche anwenden.»
Dazu zwei Fragen, liebe Apotheker und Arzneimittelhersteller: Wenn ich das Nasenspray nur eine Woche anwenden darf, wieso muss man dann 15 Milliliter in eine Flasche füllen? Denn am Ende der Woche ist das Fläschchen noch fast ganz voll. Und das Zeug hält sich auch nur sechs Monate, so oft kann man gar nicht Schnupfen haben, um es nach Anleitung leerzukriegen. Und was bitte soll die XL -Variante mit 20 Millilitern, die bei täglicher Anwendung fast zwei Monate reicht? Ja, ich spreche aus Erfahrung. Mit Familienfreundlichkeit werden diese Mengen wohl kaum zu erklären sein. Perfides Anfixen ist das, nichts anderes, wobei sich die Apotheken als Dealer andienen. Ein schwacher Trost bleibt: Man kann davon ausgehen, «guten Stoff» zu erhalten.
Um von Xylo wieder runterzukommen, gibt es zwei Methoden: den kalten Entzug oder die Substitution. Ersteren habe ich schon mehrfach gemacht, meist unfreiwillig – weil ich auf Reisen war und mein Xylo-Fläschchen vergessen hatte oder es an Heiligabend leer wurde. Dann steht einem eine sehr lange Nacht bevor. Die Nasenhöhlen schwellen so an, dass man jeden Herzschlag durch die Nebenhöhlen direkt im Gehirn spürt. Erst kommen die Kopfschmerzen, dann die Panik, dann die Verzweiflung. Und am Ende ist da nur noch Wut. Aber am nächsten Morgen hat man es geschafft.
Die Variante für Warmduscher ist die Substitution. Sie gelingt nur, indem man sich seinem Arzt offenbart. Zum Glück habe ich eine sehr gute, sehr verständnisvolle Ärztin. Ich musste nur «Xylo» sagen, schon nickte sie verständnisvoll und drückte mir ein Rezept in die Hand: Cortisonspray. Dazu rezeptfreies, teures Nasenöl, regelmäßig eingeträufelt – «damit kriegen Sie es weg». Und es klappte tatsächlich. Vorerst jedenfalls. Bis zur nächsten Erkältung. Oder, wie in meinem Fall, bis zur nächsten Pollensaison, die bei mir quasi durchgehend ist, außer im November, Dezember und Januar. Aber selbst da hat meine Nase keine Ruhe, weil dann die
Weitere Kostenlose Bücher