Vertrau deinem Herzen
vermisse dich, dachte Kate. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Callie. „Ich bin mir nicht mal sicher, ob er all das überhaupt gesagt hat.“
„Wirkte er ... ich weiß nicht ... in echt irgendwie anders als die anderen Leute in deinem Leben?“
„Gute Frage.“ Kate lächelte bei der Erinnerung. „Vielleicht, ja. Für mich war er einfach Grandpa. Das war schon besonders genug.“
„Ich habe meine Großeltern bisher leider nur ein einziges Mal getroffen.“
„Meinst du, dass du sie irgendwann vielleicht noch mal wiedersehen willst?“
Callie schob sich einen Löffel Cornflakes in den Mund und warf Kate einen wachsamen Blick zu.
„Ich will nicht herumschnüffeln“, sagte Kate.
„Warum hast du dann gefragt?“
„Ich muss zugeben, ich bin einfach neugierig. Ich möchte mehr über dich und dein Leben erfahren.“
Callie dachte einen Moment darüber nach. Dann legte sie den Löffel hin und schob die Schüssel von sich. „Ich erzähle dir, was ich über meine Großeltern mütterlicherseits weiß. Da sie meinen Dad nie gefunden haben, haben seine Eltern nie eine Rolle gespielt. Als Bruder Timothy aufgeflogen war und die Kommune auseinanderbrach, sind meine Mom und ich nach Washington gekommen. Sie war so am Boden zerstört, dass sie zu ihrer Familie nach Tacoma gefahren ist und mich dort einfach abgegeben hat. Sie hat sich nicht mal verabschiedet oder gesagt, wohin sie geht.“
Kate brach es das Herz, sich das vorzustellen. „Es tut mir so leid, Callie.“
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Nicht so schlimm, ich bin drüber hinweg. Egal ... Sie haben den Child Protective Service gerufen. Sie sagten, ich könnte nicht bei ihnen wohnen, das wäre zu viel für sie. Ich schätze, dein Großvater war anders.“
„Ja“, sagte Kate. „Er war ... magisch. Ich bin so froh, ihn gekannt zu haben.“
„Wusstest du, dass er anders war?“
„Ich glaube, ich habe mich nie wirklich mit seinem Leben befasst. Ich wusste, dass er viele Aufgaben und Termine hatte. Während des Schuljahres war er viel auf Reisen.“ Sie ging zum Bücherregal und zog ein ledergebundenes Album heraus, das der Karriere ihres Großvaters gewidmet war.
Zusammen blätterten Callie und sie durch Fotos, Zeitungsausschnitte und Zeitschriftenartikel. Es gab eine ganze Seite mit Fotos, auf denen Waiden mit US-Präsidenten posierte oder Hände schüttelte, von Lyndon B. Johnson bis zu Ronald Reagan. Er hatte alle von ihnen dazu gebracht, die eine oder andere Vorschrift zum Schutz der Umwelt zu unterschreiben.
„Ich frage mich“, sagte Callie leise, „wie es ist, etwas so Großes, so Wichtiges mit seinem Leben anzustellen.“
„Ich glaube, er konnte sich für sich nichts anderes vorstellen.“ Auch wenn Waiden von den Naturschützern auf der ganzen Welt geliebt worden war, hatte er seine Eltern schwer enttäuscht, indem er sich geweigert hatte, das Familienunternehmen zu übernehmen. Wenn die Familie ihr Vermögen mit Holz machte und der älteste Sohn Umweltschützer wird, sorgt das unweigerlich für Spannungen. Vor allem wenn er den Großteil des Familienvermögens für seine Sache ausgibt. Aber all das war vor Kates Zeit passiert. Sie musterte Callie, die jetzt, nachdem sie was gegessen hatte, schon etwas besser aussah. In ihrer Frage nach Waldens Leben hatte noch etwas anderes mitgeschwungen: Bin ich jemand? Spiele ich überhaupt eine Rolle?
„Callie, wie ist deine Mutter so?“ Kate wusste, dass es riskant war, das Thema aufzubringen, aber sie spürte, dass es der Kern der Probleme des Mädchens war. „Wenn du nicht willst, musst du nicht antworten.“
„Nein, ist schon okay. Da gibt es sowieso nicht viel zu sagen. Sie ist eine Versagerin, und ich vermisse sie überhaupt nicht.“ Eine Hupe ertönte, und Callie sprang auf. „Ich muss los“, sagte sie. „Bin so gegen sieben zurück.“
„Vergiss dein Essen nicht“, Kate reichte ihr die Papiertüte.
Callie schenkte ihr ein dankbares Lächeln und rannte dann aus dem Haus.
Kate wusste, dass das Mädchen in seinem Leben noch nicht viel Freundlichkeit erfahren hatte. Sogar das kleinste bisschen Zuvorkommenheit war für Callie eine Überraschung. Kate wünschte sich, dass jemand sie als kleines Kind geliebt, ihr ein Schulbrot gemacht und ihr am Morgen einen guten Tag gewünscht hätte. Sie war überzeugt davon, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn jeder Mensch diese Kleinigkeiten erleben dürfte. Der Gedanke ließ ihren Blick zu ihrem Computer
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