Vertrau deinem Herzen
hatte sich so nah zu ihr heruntergebeugt, dass er den Duft ihrer Haare hatte riechen können. Er war ihm so vertraut vorgekommen. Alles in ihm hatte sich danach gedrängt, sie an sich zu ziehen und jeden Zentimeter ihres Körpers zu erkunden.
Doch das konnte er sich nicht erlauben. Nicht jetzt, nicht in naher Zukunft und vielleicht sogar nie. Hartnäckig verschloss er die Tür vor weiteren Gedanken an Kate Livingston und versuchte, sich auf die Briefe zu konzentrieren, die er aus seinem Postfach im Ort mitgebracht hatte. Sam war gut darin, die Post vorzusortieren. So bekam JD nur die Rechnungen und wichtigen Briefe, blieb aber von den Sendungen der Irren und Verwirrten verschont, die immer noch jeden Tag eintrudelten.
Zu welcher Sorte Post allerdings ein großer, flacher Umschlag von einem Hollywoodagenten gehörte, war sich JD nicht so sicher.
Er starrte den Umschlag lange Zeit an. Trommelte mit den Fingern darauf herum. Wünschte sich, nie etwas von Maurice Williams gehört zu haben. „An diesem Punkt die Kontrolle zu übernehmen dient Ihrer eigenen Sicherheit“, hatte Williams ihm versichert. „Niemand braucht Ihre Erlaubnis, um den Film zu machen. Jede Minute kann eine unautorisierte Version irgendwo auftauchen, genau wie dieses grässliche Buch. Wollen Sie das wirklich?“ Williams hatte ihm einen Vertrag gereicht. „Das hier ist Ihre Chance, die Kontrolle zu übernehmen. Sie werden mir noch danken, Jordan, das schwöre ich Ihnen.“
JD hatte ihm nicht gedankt. Die Kontrolle zu übernehmen bedeutete, Berater für einen Film über sich selbst zu sein. Bedeutete, zuzustimmen, den Film zu promoten. Und es hieß auch, nach Fertigstellung auf der Premiere zu erscheinen.
Als Gegenleistung würde JD ein Vermögen für seine Stiftung erhalten. Das war sein einziger Trost. Alles, was er wollte, war, wieder ein normales Leben zu haben. Er wollte aus dem Haus gehen und eine Portion Pommes frites oder einen Dreierpack Boxershorts kaufen können, ohne von Paparazzi verfolgt, Verrückten angesprochen oder alle drei Minuten nach einem Autogramm gefragt zu werden. Er wollte mal wieder ein Essen in einem Restaurant ohne Unterbrechungen genießen oder, so Gott wollte, Sex mit einer Frau haben, die ihre Geschichte nicht gleich am nächsten Tag der nächstbesten Boulevardzeitung verkaufte. Das war eigentlich nicht sehr viel verlangt – aber im Moment unerreichbar.
Gemeinsam mit dem Brief von Williams hatte Sam ihm die aktuelle Shout mitgeschickt, eines von JDs meistgehassten Magazinen. Darauf klebte ein Post-it: „Haha, du und Paris!“ Die Zeitschriften verpassten ihm definitiv ein interessanteres Leben, als er wirklich hatte. Leute, die er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte, tauchten plötzlich auf und beschrieben Begegnungen mit ihm, die es nie gegeben hatte. Das Titelbild zeigte ein altes Fotos von JD in Kampfuniform; darüber die Headline: „Der nächste Reality-TV-Star?“
Offensichtlich hatte JDs Verschwinden zu Spekulationen geführt, dass er an einem geheimen Ort für irgendeine Realityshow drehte.
Bei dem Gedanken daran drehte sich ihm der Magen um. Was sehr vielsagend war, weil er normalerweise einen Magen wie ein Pferd hatte. Bei seiner täglichen Arbeit hatte er Menschen gesehen, die wie eine filetierte Forelle auseinandergerissen worden waren, verbrannt, verletzt, bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschlagen, erschossen und erstochen. Er hatte wochenalte Leichen aus überheizten Wohnungen geholt und Käfer an Stellen nagen gesehen, die die meisten Menschen sich noch nicht einmal vorstellen wollten.
Nichts davon hatte ihm je Übelkeit verursacht.
Doch sich selbst in einem Klatschmagazin zu sehen ließ ihm die Galle hochsteigen.
Schritte auf der Treppe draußen ließen ihn hochschrecken. Callie.
Er steckte die Zeitschrift in den Holzofen. Zu dieser Jahreszeit brannte darin normalerweise kein Feuer, weil die Nächte warm waren, aber er wusste, dass er heute Abend eines anmachen würde.
„Hey, Callie“, begrüßte er das Mädchen und hielt ihr die Tür auf. „Danke für dein Kommen.“
„Oh, kein Problem, ich kann das Geld gut gebrauchen.“
Er wusste, dass sie ihren Stolz hatte. Außerdem hatte sie Geheimnisse, und er hoffte, dass sie ihm mit der Zeit vertrauen und sich ein wenig öffnen würde. Er konnte nicht genau sagen, was es war, aber irgendetwas stimmte mit ihr nicht. Er schätzte, dass sie beide einige Gemeinsamkeiten hatten. „Wie fühlst du dich?“, fragte er.
„Wie ...
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