Vertrau deinem Herzen
was?“ Sie steckte sich die Haare hinter das Ohr und sah ihn verwirrt an.
„Ich meine, wie geht es dir?“, verbesserte er sich.
„Gut“, sagte sie. „Großartig. Bereit loszulegen.“
Er fragte sich, ob es vielleicht ein Fehler war, Callie hier arbeiten zu lassen. Wenn er ehrlich war, war es keine große Sache, bei ihm sauber zu machen. Vor allem nicht für jemanden, der in der Army darauf getrimmt worden war, Ordnung zu halten. Dennoch hatte er sich veranlasst gefühlt, ihr zu helfen. Sie wirkte auf ihn nicht wie ein normaler, gesunder Teenager. Er fragte sich, ob die schattigen Flecken in ihrem Gesicht von einer Acanthosis nigricans herrührten. Er wollte sie jedoch nicht durch eine Nachfrage erschrecken. Wenn er zu tief bohrte, würde sie vielleicht wieder weglaufen. Er musste also hoffen, dass sie Vertrauen zu ihm entwickelte. Doch wenn sie schon Kate gegenüber nicht ganz offen war, bezweifelte er, dass sie sich ihm anvertrauen würde.
Er zeigte ihr, wo alles war, inklusive Getränken und ein paar Snacks. Er bot ihr auch an, jederzeit eine Pause zu machen, wenn ihr danach war.
Sie neigte ihren Kopf ein wenig. „Macht es Ihnen was aus, wenn ich Radio höre?“
„Nein, ganz und gar nicht. Ich habe auch ein paar CDs dabei.“
Darauf sprang sie sofort an. „Ist da was Gutes bei?“
„Das kommt ganz auf deinen Geschmack an.“ Er zeigte auf das Regal.
„Eine ,Best of Eagles’ ... nicht besonders vielversprechend.“
„Schau weiter.“
„Oh! The Mothers of Invention.“ Sie zog die CD aus dem Stapel. „Das gefällt mir schon besser.“ Sie schob Elton John, Grateful Dead und Queen beiseite, nahm sich aber Eric Clapton, die Cars und Talking Heads.
„Du hast einen interessanten Musikgeschmack“, merkte JDan.
„Ich liebe Musik, seitdem ich denken kann, und ich vergesse niemals einen Song. Mein Traumjob ist es, eines Tages Discjockey zu sein, der so ziemlich alles spielen darf.“
„Hast du je darüber nachgedacht, diesen Traum zu verfolgen?“ JD konnte die Frage nicht zurückhalten. Ihr Kommentar hatte dafür gesorgt, dass sein Blick unwillkürlich zu dem Regal über dem kleinen Schreibtisch geglitten war. Die Bewerbungsformulare für das Medizinstudium lagen immer noch da. Und sie waren immer noch unberührt.
„Klar“, sagte sie und nahm die Flasche Glasreiniger aus dem Schrank unter der Spüle. „Aber das ist nicht so einfach. Mir fehlen ein paar Dinge – zum Beispiel eine Ausbildung oder eine permanente Adresse.“
„Hast du schon darüber nachgedacht, was du tun willst, wenn der Sommer vorbei ist?“
„Klar. Ich miete mir eine Wohnung. Suche mir eine Arbeit. Ich habe zwar kein Diplom, aber ich bin nicht dumm.“
„Was ist mit deinem Traumjob?“
Sie ließ ihre Kaugummiblase platzen. „Es ist ein Traum, wissen Sie? Das ist nicht echt. Darum wird es ja auch Traum genannt.“
„Ich finde nicht, dass es weit hergeholt ist, dass du ein DJ wirst.“
„Vielleicht.“
„Nein, ganz sicher. Wie auch immer. Ich bin draußen im Schuppen, wenn du was brauchst.“
Sie entließ ihn mit einem kleinen Nicken.
Alles in allem ist sie ein ganz patentes Mädchen, dachte JD. Kate war darüber verwundert gewesen, dass jemand mit Callies Hintergrund so normal war. JD konnte das jedoch verstehen. Wenn das Zuhause eines Kindes ein Albtraum war, wurde es zu einer Frage des Überlebens, normal zu sein.
Er musste es wissen. Als er eingeschult wurde, auf diesem verhassten Platz vor der ganzen Klasse stand und erzählen musste, wer er war, hatte er gelernt, dass es am besten war, sich eine Familie auszudenken. Damit die Leute nicht fragten, wieso seine Mutter nie zu Schulaufführungen oder Elternabenden kam. Sein Vater sei im diplomatischen Dienst, erzählte er den Lehrern, und seine Mutter arbeitete tagsüber und ging abends auf die Abendschule, um sich zur Linguistin ausbilden zu lassen. Mit sechs Jahren hatte er weder Ahnung, was eine Linguistin noch was der Auslandsdienst war. Er hatte davon über seine einzige Informationsquelle erfahren: den Fernseher.
Mit der Gründlichkeit eines Anthropologen hatte er die anderen Familien im Fernsehen studiert und sein Leben nach dem geformt, was er dort sah. Die Familien in JDs Fantasie kümmerten sich umeinander wie die Huxtables aus der Bill Cosby Show. Sie waren so clever wie die Keatons aus Familienbande und so humorvoll wie die Seavers aus Unser lautes Heim. All diese Serien brachten ihm Sachen bei, die seiner Mutter im Traum nicht eingefallen
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